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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Schottland verbrachte. Den Schotten MacCarroll erfreute Rogers Bemerkung, seine frühen Aufenthalte in Schottland seien in ihrer unbeschwerten Glückseligkeit paradiesische Erfahrungen gewesen. Leise sang er ihnen Kinderliedervor, die seine Mutter und seine Tante ihnen beigebracht hatten. Und er erinnerte sich wieder, wie sehr ihn die Ruhmestaten der leichten Dragoner in Indien fasziniert hatten, von denen sein Vater, Hauptmann Casement, berichtete, wenn er guter Laune war.
    Dann fragte er die Geistlichen, wie sie Priester geworden seien. Waren sie aus Berufung ins Priesterseminar eingetreten oder hatten die Umstände, Entbehrungen, Armut, der Wunsch nach einer guten Ausbildung sie dazu gebracht, wie es bei vielen irischen Geistlichen der Fall war? Pater MacCarroll hatte sehr früh seine Eltern verloren. Er war von alten Verwandten aufgenommen worden, die ihn in eine Gemeindeschule schickten, deren Pfarrer ihn bald ins Herz schloss und ihm zuredete, dass sein Weg die Kirche war.
    »Und wie hätte ich nicht auf ihn hören sollen?«, fragte Pater MacCarroll. »Doch ehrlich gesagt, bin ich nicht besonders überzeugt ins Seminar eingetreten. Gottes Ruf ereilte mich später, während der Studienjahre. Die Theologie interessierte mich sehr. Ich hätte mich gern ganz ihrem Studium und dem Unterrichten gewidmet. Aber wie wir alle wissen, der Mensch denkt und Gott lenkt.«
    Pater Careys Fall war ein ganz anderer. Er entstammte einer Familie wohlhabender Kaufleute aus Limerick, die ihren katholischen Glauben nicht praktizierten, so dass er in keinem besonders religiösen Umfeld aufwuchs. Dennoch hatte er sich schon sehr früh berufen gefühlt, er konnte sogar eine Begegnung benennen, die möglicherweise entscheidend gewesen war: Mit dreizehn oder vierzehn Jahren hatte er auf einem eucharistischen Kongress einen Missionar namens Pater Aloyssus von seiner zwanzigjährigen Arbeit mit anderen Mönchen und Nonnen in den Urwäldern von Mexiko und Guatemala reden hören.
    »Er war ein so guter Redner, dass ich vollkommen in seinen Bann geriet«, bekannte Pater Carey. »Es ist ihm zu verdanken, dass ich heute hier bin. Ich habe ihn nie wieder gesehen oder von ihm gehört. Aber ich werde mich immer an seineInbrunst, seine Stimme, seine Art zu reden und seinen langen Bart erinnern. Und an seinen Namen: Pater Aloyssus.«
    Als die Zellentür aufging und das übliche karge Mahl hereingebracht wurde – Brühe, Salat und Brot –, bemerkte Roger erst, dass sie sich wohl mehrere Stunden lang unterhalten hatten. Es dämmerte, der Tag ging zur Neige, die letzten Sonnenstrahlen funkelten an den Gitterstäben des kleinen Fensters. Roger wies das Essen zurück.
    Er musste daran denken, wie er auf einer der Expeditionen während seines ersten Jahres auf dem Dunklen Kontinent einige Tage in einem kleinen Dorf bei einer Ethnie verbracht hatte, an deren Namen er sich nicht mehr erinnerte (die Bangui vielleicht?). Mit Hilfe eines Dolmetschers hatte er sich mit mehreren Einwohnern unterhalten. Und so hatte er erfahren, dass die Alten der Gemeinschaft, wenn sie den Tod nahen spürten, ihre wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel schnürten und unauffällig, ohne sich von irgendjemandem zu verabschieden, in den Dschungel gingen. Dort suchten sie sich einen stillen Ort, am Ufer eines Flusses oder Sees, im Schatten eines großen Baums, im Schutz der Felsen eines Hochplateaus, und ließen sich nieder, um auf den Tod zu warten. Eine weise, elegante Art zu gehen.
    Pater Carey und Pater MacCarroll wollten die Nacht über bei ihm bleiben, doch Roger brachte sie davon ab. Er versicherte ihnen, es gehe ihm gut, er fühle sich friedvoll wie in den letzten drei Monaten nicht. Er wolle lieber allein bleiben und ausruhen. Und er machte einen so beherrschten Eindruck auf die Geistlichen, dass sie sich schließlich verabschiedeten.
    Als sie gegangen waren, blieb Roger eine Weile in Betrachtung der Kleidungsstücke versunken, die der Sheriff ihm hingelegt hatte. Aus irgendeinem seltsamen Grund war er überzeugt gewesen, man würde ihm die Kleidung bringen, die er bei seiner Gefangennahme an jenem trostlosen Morgen des 21. Aprils getragen hatte, in der keltischen Rundfestung McKenna’s Fort mit ihren verfallenen, von Moos undUnkraut überwucherten feuchten Steinen, umgeben von Bäumen, in denen die Vögel zwitscherten. Drei Monate war es erst her, und es schien ihm doch wie eine Ewigkeit. Was war wohl aus dieser Kleidung geworden? Ob sie mit seiner abgeschlossenen Akte
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