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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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Hauptmann schüttelte den Kopf.
    »Nein, das glaube ich nicht, Sir Roger. Aber Sie werden dort sehr respektiert, vielleicht gelingt es Ihnen ja, sie mit Ihren Argumenten zu überzeugen. Trotzdem müssen Sie verstehen, was in Irland vor sich geht. Seit so vielen Jahren haben wir uns auf das hier vorbereitet. Was heißt seit Jahren, seit Jahrhunderten. Wie viel länger sollen wir eine unterjochte Nation bleiben? Außerdem besteht gar kein Zweifel, dass England derzeit kriegsgeschwächter als Irland ist.«
    »Haben Sie keine Angst vor dem Tod?«
    Monteith lachte achselzuckend.
    »Ich bin ihm schon oft begegnet. Während des Burenkriegs in Südafrika wäre es fast um mich geschehen. Ich nehme an, wir alle haben Angst vor dem Tod. Aber es gibt verschiedene Arten zu sterben, Sir Roger. Im Kampf für das Vaterland zu fallen zeugt von der gleichen Tapferkeit, wie das Leben für die Familie oder den Glauben zu geben, finden Sie nicht?«
    »Ja, das stimmt«, pflichtete Roger ihm bei. »Ich hoffe nur, dass wir, sollte es dazu kommen, auch tatsächlich so sterben und nicht diese scheußliche amazonische Giftmischung schlucken müssen.«
    Am Vorabend ihrer Abreise verbrachte Roger einige Stunden in Zossen, um sich von Pater Crotty zu verabschieden. Das Lager betrat er nicht. Er ließ den Dominikanermönch herausrufen, und gemeinsam machten sie einen langen Spaziergang durch den Wald, unter Tannen und Birken mit ersten Blättchen. Pater Crotty hörte Roger schweigend zu. Als Roger geendet hatte, bekreuzigte sich der Priester. Sein Schweigen hielt noch eine Weile an.
    »In der Überzeugung nach Irland zu fahren, dass der Aufstand zum Scheitern verurteilt ist, kommt einem Selbstmord gleich«, sagte er schließlich.
    »Ich fahre in der Absicht, ihn zu verhindern, Pater. Ichwerde mit Clarke, Plunkett, Pearse und den anderen Anführern reden. Ich werde ihnen die Gründe darlegen, weshalb mir das Opfer sinnlos erscheint. Statt die Unabhängigkeit zu beschleunigen, wird es sie hinauszögern. Und …«
    Er verstummte, als er merkte, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
    »Was haben Sie, Roger? Wir sind Freunde, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Sie können mir vertrauen.«
    »Es gibt da ein Bild, das mir einfach nicht aus dem Kopf geht, Pater Crotty. All diese patriotischen Idealisten, die sich niedermetzeln lassen werden, deren Familien zerstört, zur Armut verurteilt, entsetzlichen Repressalien ausgesetzt sein werden, sind sich zumindest bewusst, was sie tun. Aber wissen Sie, an wen ich die ganze Zeit über denken muss?«
    Er erzählte dem Pater von dem Vortrag, den er 1910 in The Hermitage gehalten hatte, dem im Dubliner Vorort Rathfarnham gelegenen Gebäude der von Patrick Pearse gegründeten Schule St. Enda’s. Nachdem er zu den Schülern gesprochen hatte, übergab er als Preis für den besten gälischen Aufsatz des Vorjahres ein Huitoto-Blasrohr, das er von seiner Reise ins Amazonasgebiet mitgebracht hatte. Es hatte ihn damals ungemein beeindruckt, wie sehr dieses Dutzend Jugendlicher Irland verehrte, wie glühend sie die Geschichte, die Helden und Heiligen heraufbeschworen, wie begeistert sie die alten keltischen Lieder sangen. Und von welch tiefem katholischen Glauben dieser inbrünstige Patriotismus begleitet wurde.
    »Diese Jungen werden als Kanonenfutter in den Tod gehen, Pater Crotty. Mit Gewehren und Revolvern, die sie nicht einmal zu bedienen wissen. Hunderte, Tausende Unschuldige wie sie werden den Kanonen und Maschinengewehren, den Offizieren und Soldaten der mächtigsten Armee der Welt entgegentreten. Für nichts und wieder nichts. Ist das nicht schrecklich?«
    »Natürlich ist das schrecklich, Roger«, nickte der Geistliche. »Aber vielleicht wäre es doch nicht ganz vergebens.«
    Er machte eine lange Pause, ehe er langsam weitersprach.
    »Irland ist ein zutiefst gläubiges Land, das wissen Sie. Vielleicht liegt es an der Besatzung, dass die Iren für die Botschaft Jesu aufgeschlossener als andere Völker sind. Oder an so überzeugenden Missionaren wie unserem heiligen Patrick, dass unser Glaube hier tiefere Wurzeln fasste als anderswo. Unsere Religion ist vor allem eine Religion der Leidtragenden. Der Hungrigen, Erniedrigten, Besiegten. Dieser Glaube hat unserem Land trotz der erdrückenden äußeren Umstände seine Einheit bewahrt. Und in unserer Religion spielt das Märtyrertum eine zentrale Rolle. Sich zu opfern, in den Tod zu gehen. Hat Jesus das nicht auch getan? Er ist Mensch geworden und hat sich den
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