Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
Vom Netzwerk:
körperliche Unwohlsein zwangen ihn, nach München zurückzukehren und erneut Dr. von Hoesslin aufzusuchen. Der ordnete an, Roger müsse sich unverzüglich in ein bayerisches Sanatorium begeben, er habe keine andere Wahl: »Sie befinden sich am Rande eines Zusammenbruchs, von dem Sie sich nicht mehr erholen werden, wenn Sie sich jetzt nicht ausruhen und alles andere vergessen. Sonst wird das schwerwiegende psychische Folgen haben, unter denen Sie den Rest Ihres Lebens zu leiden haben werden.«
    Roger fügte sich. Einige Tage verspürte er solchen inneren Frieden, dass er sich wie in einer körperlosen Schwebe fühlte. Die Schlafmittel verschafften ihm eine Nachtruhe von zehn bis zwölf Stunden. Dann unternahm er in der Morgenkühle des anhaltenden Winters lange Spaziergänge durch einennahen Ahorn- und Eschenwald. Er rauchte nicht mehr und aß vegetarische Schonkost. Ihm war weder nach Lesen noch nach Schreiben zumute. Stundenlang schaute er einfach nur vor sich hin und kam sich vor wie ein Gespenst.
    Aus dieser Lethargie wurde er eines sonnigen Märzmorgens 1916 von Robert Monteith gerissen. Wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit hatte der Hauptmann eine Erlaubnis der deutschen Regierung erwirkt, ihn aufsuchen zu dürfen. Noch unter dem Eindruck des Geschehens überschlugen sich die Worte des Hauptmanns:
    »Eine Eskorte hat mich aus Zossen geholt und nach Berlin zur Heeresleitung gebracht. Dort erwartete mich eine große Gruppe von Offizieren, darunter zwei Generäle. Sie haben mich informiert, dass das provisorische Komitee Irlands beschlossen hat, die Erhebung am 23. April durchzuführen. Das heißt in anderthalb Monaten.«
    Roger fuhr aus dem Bett hoch. Seine Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen, sein Herz trommelte wie wild. Er brachte kein Wort heraus.
    »Sie wollen Gewehre, Maschinengewehre, Füsiliere, Offiziere, Munition«, fuhr Monteith benommen fort. »Das Schiff soll von einem U-Boot eskortiert werden. Die Waffen sollen am Ostersonntag gegen Mitternacht in Fenit bei Tralee Bay in der Grafschaft Kerry übergeben werden.«
    »Dann werden sie also nicht auf eine Militäraktion der Deutschen warten«, brachte Roger schließlich hervor. Er sah ein Gemetzel vor sich, das Wasser des Liffey rot vor Blut.
    »Die Botschaft enthält auch Instruktionen für Sie, Sir Roger«, fuhr Monteith fort. »Sie sollen in Deutschland bleiben, als Botschafter der neuen Republik Irland.«
    Roger sank wie betäubt in sein Bett zurück. Seine Kameraden hatten die deutsche Regierung vor ihm von ihren Plänen unterrichtet. Außerdem befahlen sie ihm, hier zu bleiben, während sie selbst sich in einer wahnwitzigen Aktion umbringen lassen würden, ganz nach dem Geschmack von Patrick Pearse und Joseph Plunkett. Misstrauten sie ihm? Eine andereErklärung gab es nicht. Da sie wussten, dass er gegen einen Aufstand ohne simultanen deutschen Angriff war, dachten sie vermutlich, er würde in Irland nur stören. Lieber sollte er tatenlos in Deutschland sitzen und den extravaganten Botschafter einer Republik mimen, die die bevorstehende Rebellion mit ihrem abzusehenden Blutbad unwahrscheinlicher machte denn je.
    Monteith schwieg.
    »Wir fahren sofort nach Berlin, Hauptmann«, sagte Roger und richtete sich wieder auf. »Ich ziehe mich an, packe meinen Koffer und wir nehmen den nächsten Zug.«
    So geschah es. Roger kritzelte gerade noch ein paar hastige Zeilen des Dankes an Dr. von Hoesslin. Während der langen Fahrt ging ihm das alles unaufhörlich im Kopf herum, nur gelegentlich wechselten Monteith und er ein paar Worte. Als sie in Berlin eintrafen, hatte er sich eine Strategie zurechtgelegt. Seine persönlichen Probleme waren jetzt nebensächlich. Erstens bestand die Priorität nun darin, zu organisieren, was seine Kameraden angefordert hatten: Gewehre, Munition und deutsche Offiziere, die die Militäraktionen effizient leiten könnten. Dafür musste er alle seine Energie aufwenden. Zweitens würde er selbst die Waffenladung nach Irland begleiten. Dort würde er die anderen zu überzeugen versuchen, dass sie warten müssten, bis der Krieg in Europa noch günstigere Umstände für eine Erhebung geschaffen hätte. Drittens musste er verhindern, dass die dreiundfünfzig Freiwilligen der Irischen Brigade nach Irland aufbrachen. Die britische Regierung würde sie ohne langes Federlesen als Landesverräter erschießen lassen, sollten sie in die Hände der Royal Navy geraten. Monteith sollte selbst entscheiden, was er zu tun gedenke. Wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher