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Der Traum des Kelten

Der Traum des Kelten

Titel: Der Traum des Kelten
Autoren: Vargas Mario LLosa
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würde, wie Pearse, Clarke, Plunkett, Connolly und all die anderen fraglos auch, die sich in der Osterwoche in Dublin beherzt für Irlands Freiheit geopfert hatten. Er fühlte sich eigentümlich gelassen, bereit, vor Gott zu treten.
    Pater Carey und Pater MacCarroll kamen mit ernsten Mienen herein und schüttelten ihm freundschaftlich die Hand. MacCarroll hatte ein nervöses Zucken um die Nase, das etwas sonderbar wirkte. Roger war ihm drei oder vier Mal begegnet, hatte sich dabei jedoch nur kurz mit ihm unterhalten. Pater Careys Anwesenheit war dafür ganz selbstverständlich. Roger gab ihm das Exemplar von Thomas von Kempens Nachfolge Christi zurück.
    »Ich weiß nicht, was ich damit tun soll, verschenken Sie es. Es ist das einzige Buch, das ich hier im Pentonville-Gefängnis lesen durfte. Und es hat mir gute Gesellschaft geleistet. SolltenSie jemals mit Pater Crotty sprechen, sagen Sie ihm, dass er recht hatte. Thomas von Kempen war wirklich ein heiliger Mann, einfach und weise.«
    Pater MacCarroll teilte Roger mit, der Sheriff kümmere sich um seine Zivilkleidung und werde sie ihm bald bringen. Sie sei in der Gefängnisaufbewahrung schmutzig geworden, und Mr. Stacey habe persönlich dafür gesorgt, dass sie gewaschen und gebügelt werde.
    »Ein braver Mann«, sagte Roger. »Er hat seinen einzigen Sohn im Krieg verloren und ist selbst vor Schmerz mehr tot als lebendig.«
    Nach einer kurzen Pause bat er die beiden Priester, seinen Übertritt zum Katholizismus vorzunehmen.
    »Wiedereintritt, nicht Übertritt«, erinnerte Pater Carey ihn erneut. »Sie waren immer katholisch, Roger, so hatte Ihre Mutter es beschlossen, die Sie so geliebt haben und die Sie bald wiedersehen werden.«
    In der engen Zelle hatten sie kaum Platz, sich hinzuknien. Zwanzig oder dreißig Minuten lang beteten sie, erst schweigend, dann sagten sie mehrere Vaterunser und Ave Marias, die Geistlichen sprachen den Anfang jedes Gebets, Roger beendete es.
    Danach zog Pater MacCarroll sich zurück, und Pater Carey nahm Roger die Beichte ab. Der Priester setzte sich an den Bettrand, Roger blieb zunächst auf den Knien und begann die lange, unendlich lange Aufzählung seiner wirklichen oder vermeintlichen Sünden. Als er nicht mehr dagegen ankämpfen konnte und in Tränen ausbrach, zog Pater Carey ihn zu sich aufs Bett hoch. Roger redete lange, fragte vieles, erinnerte sich, und er spürte, dass er sich seiner Mutter immer weiter näherte. Für Momente schien es ihm, als ob die schlanken Umrisse Anne Jephsons flüchtig vor ihm auftauchten, ehe er wieder nur die rote Backsteinwand der Zelle vor Augen hatte.
    Er fing immer wieder zu weinen an, konnte sich nicht erinnern, jemals so geweint zu haben, und er versuchte gar nicht,die Tränen zurückzuhalten, so sehr befreiten sie ihn von aller Anspannung und Verbitterung und verliehen nicht nur seiner Seele, sondern auch seinem Körper eine große Leichtigkeit. Pater Carey saß reglos da und ließ ihn reden. Von Zeit zu Zeit stellte er eine Frage, machte eine Bemerkung, gab einen kurzen beruhigenden Kommentar ab. Nachdem er Roger seine Buße aufgegeben und ihn von seinen Sünden freigesprochen hatte, umarmte er ihn: »Sei neuerlich willkommen in dem Haus, das immer deins war, Roger.«
    Wenig später ging die Zellentür wieder auf, und Pater Mac-Carroll trat ein, gefolgt von dem Sheriff. Mr. Stacey brachte ihm den dunklen Anzug, die Weste, das weiße Hemd mit Stehkragen und die Krawatte, Pater MacCarroll hatte seine Stiefel und Strümpfe in der Hand. Es war die Kleidung, die Roger zuletzt an dem Tag getragen hatte, als er im Gerichtssaal des Old Bailey zum Tod durch Erhängen verurteilt worden war. Die Kleidungsstücke waren tadellos sauber und gebügelt, die Schuhe waren frisch geputzt und poliert.
    »Ich danke Ihnen, Sheriff, das ist sehr freundlich.«
    Mr. Stacey nickte. Sein aufgeschwemmtes Gesicht sah so trübselig aus wie immer, er vermied es, Roger in die Augen zu sehen.
    »Dürfte ich duschen, bevor ich die Sachen anziehe, Sheriff? Es wäre schade, sie mit meinem verdreckten Körper zu beschmutzen.«
    Mr. Stacey nickte, diesmal mit einem verschwörerischen Lächeln. Dann verließ er die Zelle.
    Roger und die beiden Geistlichen setzten sich nebeneinander auf die Pritsche. Lange verharrten sie so, schwiegen, beteten zusammen oder unterhielten sich. Roger erzählte von seiner Kindheit, den ersten Jahren in Dublin und Jersey, den Ferien, die er mit seinen Geschwistern bei seinem Onkel und seiner Tante in
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