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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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eine unbestimmte Richtung zeigte.
    »Danke«, sagte Lindell mit Nachdruck. »Danke für die präzise Auskunft.«
    Eine Hand legte sich auf ihren Arm. Sie drehte sich um, und vor ihr stand Asta Lundin.
    »Ann, wir haben uns ja ewig nicht gesehen«, sagte sie.
    Sie ließ ihre Hand liegen, und Ann Lindell spürte den Druck. Die Vergangenheit wurde schlagartig lebendig. Asta war die Witwe von Tomaten-Anton, einem alten Gewerkschaftsfreund von Edvard Risberg. Ann war ihr ein paarmal zusammen mit Edvard begegnet. Sie hatten Kaffee in Astas Küche getrunken, und Edvard hatte der Frau später beim Umzug in die Stadt geholfen.
    »Asta«, sagte sie nur und war nicht in der Lage, klar zu denken.
    »Wie ich sehe, hast du was Kleines bekommen«, sagte die Frau und nickte zum Tragesack auf Anns Rücken.
    »Er heißt Erik«, sagte Ann.
    »Geht es dir gut?« Astas graue Haare umhüllten ihr mageres Gesicht wie eine Wolke.
    Ann hätte weinen mögen. Sie erinnerte sich an Edvards Worte, daß Tomaten-Anton und Asta zwei der feinsten Menschen seien, denen er je begegnet war.
    »Es geht mir gut«, antwortete Ann Lindell, aber ihr Gesicht drückte etwas anderes aus.
    »Der Einkaufswagen wird ganz schön voll«, meinte Asta.
    »Was für ein fürchterliches Gehetze.«
    Ann wollte nach Edvard fragen. Sie hatte seit anderthalb Jahren nicht mehr mit ihm gesprochen, seit jenem Abend im Krankenhaus von Östhammar, als sie ihm eröffnet hatte, daß sie ein Kind von einem anderen Mann erwartete. Sie hatte auch von anderen nichts über ihn erfahren. Es kam ihr vor, als wäre er ausgelöscht worden. Wohnte er noch auf Gräsö, als Mieter in Violas Obergeschoß? Was für einer Arbeit ging er nach? Hatte er Kontakt zu seinen Söhnen? Und, bei dem Gedanken wurde ihr schwindlig, hatte er eine neue Frau kennengelernt?
    »Du siehst gut aus«, sagte Asta, »hast rote Wangen und schaust hübsch aus.«
    »Danke, und wie geht es dir?«
    »Meine Schwester kommt Weihnachten zu Besuch.«
    »Wie schön. Meine Eltern kommen auch. Sie wollen sehen, wie groß Erik schon ist. Hast du …«, begann Ann, konnte jedoch nicht weitersprechen.
    »Ich verstehe, unser Edvard«, sagte Asta und legte wieder ihre Hand auf Anns Arm, die dadurch daran erinnert wurde, was Edvard über Asta und Anton erzählt hatte, wie sie voneinander angezogen waren, wie oft sie sich umarmt, sich geküßt hatten, auch wenn andere Menschen um sie herumstanden. In Edvards Augen verkörperten die Eheleute Lundin ein Idealbild von gegenseitiger Treue und Treue zu ihrem Leben.
    »Du hörst vielleicht nichts von Gräsö«, meinte Asta.
    »Wohnt er noch da?«
    »Das tut er. Viola ist ein bißchen kränklich, ich glaube, sie hatte eine Thrombose letzten Herbst, aber jetzt ist sie wieder auf den Beinen.«
    »Wie schön«, sagte Ann tonlos.
    »Sollen wir eine Tasse Kaffee trinken?« fragte Asta.
    Sie setzten sich an einen Tisch und tranken aus kleinen Pappbechern Kaffee, der gratis ausgeschenkt wurde. Erik maulte; Ann löste die Tragegurte und machte seine Jacke ein bißchen auf.
    »Er sieht propper aus«, sagte Asta.
    Es gab so viel, wonach Ann fragen wollte, aber sie hielt sich zurück. Es war ein seltsames Gefühl, mit der alten Frau zusammenzusitzen. Außerdem schämte sie sich. Sie hatte Edvard betrogen und damit auch seine engsten Freunde. Sie hatte ihn verletzt, ihm weh getan, das wußte sie, aber Asta ließ nichts von Verbitterung oder Wut über den Betrug spüren.
    »Edvard geht es gut«, sagte Asta. »Er ist vor einem Monat bei mir gewesen. Er schaut öfter mal vorbei.«
    Er ist in der Stadt gewesen, dachte Ann. Sind wir vielleicht aneinander vorbeigelaufen, hat er mich etwa gesehen?
    »Ich glaube, er hat alle Hände voll zu tun«, fuhr Asta fort.
    »Er rackert sich ab wie eh und je. Die Risbergs sind immer schon Arbeitstiere gewesen. Ich kannte ja auch seinen Vater und seinen Großvater.«
    Ann nickte. Sie erinnerte sich an Albert Risberg, den Alten im ersten Stock auf Ramnäs Gård, wo Edvard gearbeitet hatte, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren.
    »Er ist ein richtiger Schärenbewohner geworden.«
    Asta verstummte, nahm einen Schluck Kaffee und sah Ann Lindell an.
    »Das ist ja ganz schön schiefgelaufen«, fuhr sie fort. »Das war sehr schade.«
    »Ja, das war nicht so toll«, erwiderte Ann.
    »Edvard ist kein starker Mensch, das hat Anton mir oft gesagt.«
    Ann wollte nichts mehr hören, und Asta schien dies zu merken, denn sie verstummte.
    »Das Leben entwickelt sich nicht immer
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