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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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herab.
    Als sie sich befreit hatte, erblickte sie schemenhaft einen Mann im Türrahmen. Sie sah die Waffe in seiner Hand und begriff, daß er ihr das Leben gerettet hatte. Auf den Knien hockend, wischte sie sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. Jetzt erst erkannte sie, daß dort Lennart stand. Er war leichenblaß. Die Hand mit der Waffe zitterte, und ein Zucken lief durch seinen Körper, als hätte er einen elektrischen Schlag bekommen. Er rang nach Luft und versuchte etwas zu sagen.
    »Lennart«, flüsterte sie.
    Er zitterte immer heftiger und begann zu schluchzen.
    »Lennart«, wiederholte sie.
    Er drehte sich um und verließ mit schwankenden Schritten die Wohnung. Sie sah ihm nach und streckte die Hand aus, als wollte sie ihren Schwager aufhalten; aber wo er gestanden hatte, lag nur noch ein Revolver. Berit lehnte den Kopf an die Spüle und begann krampfhaft zu weinen. Angeekelt starrte sie die Wunde im Hinterkopf des toten Mannes an und übergab sich heftig.
     
    Lennart lief. Eine Etage unter Berits Wohnung öffnete sich eine Tür, als er vorbei wollte, und er taumelte mit voller Wucht dagegen, fiel hin, kam schnell wieder auf die Beine und rannte weiter die Treppe hinab.
    Er hatte einen Menschen erschossen, einen Menschen getötet. Wer war es gewesen? Dick Lindström jedenfalls nicht. Er hatte kurz überlegt, dem Toten die Mütze vom Gesicht zu ziehen, sich jedoch nicht getraut. Jetzt konnte er nur noch fliehen. Hatte er sich in Berit getäuscht? Der Mann war kein Liebhaber gewesen, sondern ein Räuber. Lennart hatte das Geld auf dem Tisch gesehen und begriffen, daß es der Pokergewinn war. Berit hatte ihn also angelogen, als sie behauptet hatte, sie wisse nichts von der Pokerpartie.
    An der Haustür blieb er stehen, holte ein paarmal tief Luft und schlug gegen die Manteltasche, um zu kontrollieren, wo sein Revolver war, bis ihm wieder einfiel, daß er ihn hatte fallen lassen. Ihm war vollkommen klar, daß alles aus war, denn selbst wenn Berit den Mund hielt, waren seine Fingerabdrücke auf der Waffe.
    Er öffnete die Tür. Die Kälte schlug ihm entgegen, und im Schneegestöber sah er eine Frau, die sich dem Haus näherte. Ann Lindell. Sie war schon ganz nah, hatte ihn aber offensichtlich noch nicht entdeckt. Er machte kehrt und lief wieder die Treppen hinauf. Mehrere Wohnungstüren standen nun offen und besorgte Nachbarn lugten heraus, aber er scherte sich nicht weiter darum, sondern rannte weiter.
    Er wußte, daß er in der Falle saß. Lindell war bestimmt nicht allein. Bald würde es auf dem Hof von Polizisten nur so wimmeln. Auf dem Weg nach oben fiel ihm ein, daß der Speicher mit Sicherheit abgeschlossen sein würde. Einen Moment lang blieb er unentschlossen vor Berits offener Tür stehen, dann lief er wieder in ihre Wohnung.
    Er schaute in die Küche. Berit saß immer noch mit ausdruckslosem Gesicht neben dem erschossenen Mann. Sie sah Lennart an und sah ihn doch nicht. Er hielt inne, wollte spontan in die Küche gehen und sich neben sie setzen. Er hätte Berit gerne etwas gesagt, nur ein paar Worte, die alles erklären konnten. Sie war gut für John gewesen, und deshalb mochte er sie sehr. Die Worte waren in seinem Kopf, aber Lennart zögerte.
    Er erkannte, daß sein Leben vergeudet war, seine Worte keine Kraft mehr hatten. Er lief ins Wohnzimmer und betrachtete das Aquarium. Er sah John vor sich, lächelnd wie an jenem Abend, als sie es eingeweiht hatten. Lennart streckte die Hand aus, um seinen Bruder zu berühren, aber da war niemand.
    Die Tür ließ sich wegen des vielen Schnees, der sich auf dem Balkon angehäuft hatte, kaum öffnen. Lennart drückte sie auf und spähte über das Geländer. Ihm wurde schwindlig. Der Hof war menschenleer, aber in der Ferne hörte er Sirenengeheul.
    Er sah zum Dach hinauf, ehe er auf das Geländer kletterte, sich an einem an der Wand festgeschraubten Kleiderhaken festhielt und nach der Dachrinne streckte. Er erreichte sie mit Müh und Not. Sie war kalt und glatt. Schnee fiel ihm ins Gesicht.
    Mit einer Kraftanstrengung, die er sich selber nicht zugetraut hätte, warf er sich hoch, stieß sich mit den Füßen von der Ziegelwand ab, schaffte es, einen Fuß auf den Kleiderhaken zu bekommen und sich mit dem Oberkörper über die Dachrinne zu hieven. Seine Beine hingen in der Luft, und er rang nach Atem.
    »Ich schaffe das, ich schaffe das«, flüsterte er immer wieder. Er nahm vage wahr, daß das Sirenengeheul näher kam. Sein Kopf lag auf dem Dach, und er
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