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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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Licht über dem Herd. Nach diesen Routinehandgriffen pflegte er auf das Thermometer zu schauen, aber an diesem Morgen blieb er mitten in der Küche stehen. Irgend etwas hemmte seine Bewegung zum Fenster, als ob eine unsichtbare Hand ihn zurückhalten würde. Rebecka sah flüchtig auf, las aber gleich weiter. Dann wußte er es. Nach dem Blick auf das Thermometer beugte er sich stets zu seiner Frau herab, küßte ihren Scheitel und sagte ihr, wie gern er sie hatte. Jeden Morgen, den sie gemeinsam am Frühstückstisch saßen.
    Diesmal zögerte er, oder vielmehr sein Körper, der sich weigerte, die beiden Schritte ans Fenster zu machen. Diese Entdeckung verwirrte ihn.
    Rebecka hatte aufgehört zu lesen und beobachtete ihn mit einer Art professioneller Wachsamkeit, die sie sich in ihren Jahren auf verschiedenen Pflegestationen angeeignet hatte. Er machte eine Bewegung, als wollte er die Spülmaschine schließen, aber sie war bereits zu.
    »Geht es dir gut?«
    »Alles in Ordnung«, antwortete er. »Ich habe nur nachgedacht.«
    »Hast du Kopfschmerzen?«
    Er machte eine abwehrende Bewegung. Im Herbst hatten ihn immer wieder furchtbare Schmerzen hinter dem Stirnbein gequält. Seitdem waren mehrere Wochen vergangen. Hatte sie sein Zögern bemerkt? Wohl eher nicht.
    »Heute fängt ein Neuer in unserem Kommissariat an«, sagte er. »Aus Göteborg.«
    »Entwaffne ihn«, meinte Rebecka kurz angebunden.
    Er erwiderte nichts, sondern hatte es plötzlich eilig, verließ die Küche und verschwand im angrenzenden Zimmer, das sie als Büro und Bibliothek nutzten.
    »Es wird spät werden«, sagte er halb im Wandschrank stehend. Er warf einen Trainingsanzug, ein Paar Schuhe und einen Pullover, den Rebecka gestrickt hatte, zur Seite. Unter einigen Kartons lag eine Plastiktüte von H&M. Die nahm er mit, zog die Tür zu und ging schnellen Schritts durch die Küche.
    »Es wird spät werden«, wiederholte er und blieb noch ein paar Sekunden im Flur stehen, ehe er die Haustür öffnete und in den kalten Dezembermorgen hinaustrat, ein paarmal tief Luft holte, mit leicht gebeugtem Kopf gleichsam Anlauf nahm.
    Dezember. Die Zeit der Dunkelheit. Für Rebecka schien die Dunkelheit so undurchdringlich zu sein wie schon seit langem nicht mehr. Haver konnte sich nicht erinnern, sie jemals so niedergeschlagen gesehen zu haben. Er hatte ihre krampfhaften Versuche beobachtet, den Schein zu wahren, aber unter der abbröckelnden Fassade lauerte die Herbstangst.
    Ein paar Schneeflocken schwebten herab. Er begegnete Josefsson mit dem Pudel aus Hausnummer 3. Der Nachbar, der Polizisten bewunderte und diesem Gefühl stets überschwenglich Ausdruck verlieh, lächelte und sagte etwas über den bevorstehenden Winter. Haver war Josefssons stets enthusiastische Forschheit unangenehm, und er murmelte, er habe viel zu tun.
    Er dachte an Rebecka. Sie sollte wieder arbeiten gehen.
    Sie brauchte Menschen um sich herum, den Streß auf Station, den Kontakt mit Patienten und Arbeitskollegen. Die kleinen Plaudereien am Abend, wenn sie ein paar Worte darüber wechselten, was sich am Tag auf der Arbeit ereignet hatte, waren einer trüben Stimmung gewichen, und einem angespannten Warten darauf, daß etwas geschehen würde. Etwas Neues, das ihrem Leben wieder Schwung gab. Seit Sara, ihr zweites Kind, geboren worden war, hatte ihr Zusammensein viel von der Spannung verloren, die ihm bis dahin die Würze gegeben hatte.
    Haver fühlte, daß die Routine auf der Arbeit nun durch eine Art einschläfernden Leerlauf daheim ergänzt wurde. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der er voller Freude vom Dienst nach Hause gefahren war, voller Sehnsucht nach Rebecka, danach, ihr einfach nahe zu sein.
    Lag das wirklich nur an ihr? Haver hatte lange darüber nachgedacht. Sammy Nilsson, sein Kollege im Kommissariat, meinte, es sei eine Frage des Alters. »Ihr seid in die Midlifecrisis geraten, die Zeit, in der Paare entdecken, daß sie in ihrem Leben nichts Großartiges mehr zu erwarten haben«, hatte er mit einem Lächeln gesagt. »Unsinn«, hatte Haver ihn abgetan. Er liebte Rebecka und hatte dies vom ersten Augenblick an getan. Liebte sie ihn? Er hatte einen kritischen Zug in ihrem Gesicht bemerkt, so als sehe sie ihn mit neuen Augen. Sicher, er arbeitete im Moment viel mehr als sonst, weil Ann Lindell ihren Erziehungsurlaub in Anspruch nahm, aber es hatte auch vorher schon Perioden gegeben, in denen er fast genauso viel gearbeitet und Rebecka keine ernsthaften Einwände dagegen erhoben
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