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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee
Autoren: Kjell Eriksson
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so, wie man sich das vorgestellt hat«, sagte sie und lächelte schief.
    »Hat er …«
    »Nein, er lebt allein«, unterbrach Asta sie.
    »Du liest meine Gedanken«, sagte Ann.
    »Du bist für mich wie ein offenes Buch. Du liebst ihn immer noch?«
    Ann nickte stumm. Sie wollte nicht weinen. Nicht in einem Einkaufszentrum, umgeben von zahlreichen Menschen. Sobald sie allein war, würden die Tränen kommen. Natürlich liebte sie ihn noch.
    »Es muß etwas Zeit vergehen«, sagte Asta. »Du wirst sehen, dann sieht das Leben auch wieder freundlicher aus.«
    Etwas Zeit, dachte Ann, hat sie mit Edvard gesprochen? Will er mich treffen, kann er mir vielleicht verzeihen? Sie wollte die Frau fragen, was sie mit ihren Worten gemeint hatte, fürchtete jedoch die Antwort.
    »Kann schon sein«, sagte sie statt dessen und stand auf.
    »Jetzt werde ich weiter einkaufen. Danke für das Plauderstündchen.«
    Asta sagte nichts, blieb sitzen und saß auch noch da, als Ann wenig später unterwegs zur Fleischtheke war. Das graue Haar, die mageren Hände auf dem Tisch. Ann nahm an, daß sie an Anton dachte.

5
    Er mochte das Moos, das unter dem Schnee hervorlugte. Wäre es Sommer gewesen, hätte er sich hingelegt. Nur für einen Moment. Sich ausgeruht. Er atmete tief ein. Einmal, zweimal. Sie hatte im Wohnzimmer Licht gemacht. Er hatte sie einen Augenblick lang sehen können.
    »Ich bin ein Waldkrieger«, sagte er laut.
    Der Gedanke gefiel ihm, daß er ein Wesen war, das von außen kam, aus dem Moos und der Dunkelheit, zu den warmen Fenstern.
    Plötzlich ging im zweiten Zimmer das Licht an. Bis auf einen hellen BH hatte sie den Oberkörper entblößt. Sie öffnete die Schranktür, holte einen Pullover heraus und zog ihn in einer einzigen Bewegung über Kopf und Arme.
    Er fluchte. Er wollte sie sehen. Wie oft hatte er von diesen Brüsten geträumt.
    Sie blieb im Zimmer stehen, drehte sich, spiegelte sich, zupfte etwas zurecht. Sie trat näher an den Spiegel heran, beugte sich vor. Er mußte das gleiche tun, um sie gründlich studieren zu können. Zwischen dem Fenster und dem Baum, hinter dem er sich versteckte, lagen fünf Meter. Er roch an dem Stamm. Nässe, sonst nichts.
    Sie löschte das Licht und verließ den Raum. Er wartete noch zehn Minuten, ehe er sich vorsichtig der Terrasse näherte und hinter dem großmaschigen Zaun in die Hocke ging. Wie lautete sein Plan? Die Ungewißheit darüber ließ ihn zögern. Er hatte geglaubt, eine Idee zu haben, aber einmal an Ort und Stelle, in unmittelbarer Nähe eines seiner Quälgeister, erschien sie ihm nicht mehr besonders verlockend.
    Vincent Hahn hatte das Gefühl, fünfundzwanzig, dreißig Jahre zurückversetzt zu werden. Auch damals gab es große Momente, Momente, in denen er Beschlüsse faßte. Beschlüsse, die jedoch stets verwitterten, wenn sie mit der Wirklichkeit konfrontiert wurden. Sie verunsicherte ihn immer noch, was ihn innerlich vor Wut kochen ließ, aber er konnte das Gefühl von Unterlegenheit und Abhängigkeit nicht abschütteln.

6
    Messer, dachte Haver. Wer tötet mit einem Messer? Die Verletzungen an Brust und Armen, die gekappten Finger, die Brandmale, er ist gefoltert worden, das steht außer Zweifel. Er kritzelte etwas in seinen Notizblock, ehe er mit dem Stuhl zum Computer rollte und anfing, einen Bericht zu schreiben. Als er die ersten Angaben eingetippt hatte, klopfte jemand an die Tür. Fredriksson schaute herein.
    »Der kleine John«, sagte Fredriksson.
    »Ich habe die Informationen herausgesucht.«
    »Verdammt, ist das kalt geworden.« Fredriksson sah verfroren aus. »Sein Bruder ist ab und zu noch aktiv«, sagte er und setzte sich.
    Haver schob seinen Stuhl vom Computer weg und schaute den Kollegen an. Er wollte den Bericht gerne fertig schreiben, sah aber ein, daß Fredriksson reden wollte.
    »Aber das ist doch schon was her«, wandte er ein.
    »Lennart Albert Jonsson ist noch im Frühjahr wegen Diebstahls und Androhung von Gewalt verhört worden.«
    »Verurteilt?«
    »Das Verfahren wurde eingestellt«, sagte Fredriksson. »Die Zeugen haben kalte Füße bekommen.«
    »Sind sie bedroht worden?«
    »Wir denken, ja.«
    »Wir werden den Bruder wohl verhören müssen.«
    »Es ist nur seltsam, daß John sich viele Jahre nichts hat zuschulden kommen lassen«, meinte Fredriksson. Er stand auf, lehnte sich an einen Aktenschrank und sah nun ausgesprochen entspannt aus, so als wäre ein Mord mit einem Messer genau das, was er in der Vorweihnachtszeit brauchte. »Du weißt,
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