Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
Vom Netzwerk:
wolle bei der nächsten Regierungswahl als Prior in die signoria einziehen?« In Florenz wurde die Regierung Signoria genannt. Sie bestand aus acht Prioren und dem gonfaloniere , dem Bannerträger der Justiz, die alle zwei Monate neu gewählt wurden. Was unablässigen Wahlkampf zwischen den konkurrierenden Parteien bedeutete und einen ständigen Wechsel in den höchsten Staatsämtern mit sich brachte.
    »Das habe ich auch geglaubt, zumal ich ihn vor zwei Tagen im Zustand bester Genesung und ausgesprochen fröhlicher Verfassung angetroffen habe«, sagte Pater Nicodemo. »Aber nun kann davon nicht mehr die Rede sein. Es sollen starke innere Blutungen aufgetreten sein. Jedenfalls steht es schlimm um ihn, wie man mir hat ausrichten lassen.«
    »Wie schlimm?«
    »Er befindet sich zwar noch nicht in agone, aber der Todeskampf wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ser Aurelio soll unter fürchterlichen Krämpfen leiden und sogar Blut gespuckt haben.«
    »Heiliger Lazarus!«, entfuhr es Pater Angelico. »Was für eine böse Wendung. Und ich dachte, der gute Aurelio Rovantini sei längst über den Berg!«
    »Nemo ante mortem beatus«, sagte Pater Nicodemo mit kummervoller Miene. Niemand ist vor seinem Tode glücklich zu schätzen.
    »Weiß Gott nicht!«
    Pater Angelico wollte den Bruder nicht länger aufhalten. Tief betrübt begab er sich ins Kloster. In dem Raum, von dem aus es in den Kreuzgang des heiligen Antonius ging, zerrte er sich hastig den klatschnassen Wollumhang von den Schultern, hängte die Cappa an einen Kleiderhaken und fuhr in sein fersenlanges weißes Chorgewand. Aus der Basilika war bereits der feierliche Gesang seiner Klosterbrüder zu hören. Der Eröffnungsvers, »Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund Dein Lob verkünde«, war längst im hohen Kirchenschiff verklungen. Der Konvent hatte schon den Hymnus angestimmt.
    Zügigen Schrittes, aber ohne unziemliche Hast betrat er die Kirche und begab sich im Altarraum an seinen Platz in den Stallen des Chors.
    Man schenkte seinem Zuspätkommen keine sonderliche Beachtung. Die meisten hatten genug damit zu tun, die Schläfrigkeit zu überwinden, die ihnen noch in den Knochen steckte, und sich im Wechselgesang auf ihren nächsten Einsatz zu konzentrieren. Selbst der schlaksige Novize Bartolo Lorentino, der mit seinen weichen, knabenhaften Zügen weitaus jünger aussah als zwanzig, schenkte ihm allenfalls flüchtige Aufmerksamkeit und gähnte herzhaft. Mittlerweile hatte der junge Bruder sich an die seltsamen Eigenmächtigkeiten Pater Angelicos gewöhnt, der ihm nicht nur als Novizenmeister zugeteilt worden war, sondern ihn auch als Malerlehrling unter seine Fittiche genommen hatte – wenn zunächst auch nur widerwillig und voller Groll gegen den Prior, der das über seinen Kopf hinweg einfach so verfügt hatte.
    Vincenzo Bandelli war denn auch der Einzige, der nicht mit nachtmüder Gleichgültigkeit über das verspätete Eintreffen des Malermönchs hinwegging. Der missmutige, ja misstrauische Blick des Priors traf Pater Angelico von der gegenüberliegenden Seite des Chorgestühls. Die Augen zusammengekniffen, eine steile Furche auf der hohen Stirn und die Habichtsnase wie den Finger eines Anklägers auf ihn gerichtet, starrte der Klosterobere zu ihm herüber. Ganz offensichtlich bezweifelte der Prior, dass es für sein spätes Erscheinen einen triftigen Grund gab.
    Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Pater Angelico nicht aus seiner Zelle oder der Werkstatt gekommen war, sondern von draußen. Die Wasserlachen, die seine durchnässten Sandalen und der triefende Saum seiner Kutte auf dem Weg durch den Altarraum auf den Steinplatten hinterließen und in denen sich das warme Licht der Kerzen spiegelte, waren verräterisch genug. Natürlich fragte der Obere sich, was ein Mönch – mochte er auch noch so eigensinnig sein – zu dieser von Regenschauern gegeißelten Nachtstunde in der Stadt zu schaffen gehabt hatte.
    Ohne mit der Wimper zu zucken, geradezu herausfordernd unbeugsam, hielt Pater Angelico dem prüfenden Blick seines Priors stand. Es war, als warte der Obere darauf, dass er zum Zeichen des gebotenen Gehorsams und der Unterwerfung als Erster den Blick senkte.
    Pater Angelico dachte gar nicht daran, klein beizugeben und ihm den Sieg zu gönnen. Zwischen ihnen beiden war nicht viel Liebe verloren, bei Gott nicht! Klösterliche Brüderlichkeit kannte auch in San Marco ihre Grenzen, und die waren, was Vincenzo Bandelli und ihn anging,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher