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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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üblen Wetter schutzlos ausgeliefert, und ebenso verhielt es sich auf den breiten Durchgangsstraßen, die Florenz von den wehrhaften Stadttoren aus in alle Himmelsrichtungen durchschnitten. Lieber wählte er für seine Heimkehr in das Kloster im Norden der Stadt den Umweg durch das verwinkelte Labyrinth der chiassi, das sich durch alle Bezirke zog. Von diesen krummen, engen Gassen, in denen man vielerorts die Arme ausbreiten und so die Wände der einander gegenüberstehenden Häuser berühren konnte, hatte die stolze Republik am Arno etliche zu bieten. Aber es ging wohl in keinem anderen borgo gedrängter, krummer und enger zu als hier im jüdischen Ghetto, einem Stadtviertel, das noch Cosimo de’ Medici in seiner Regierungszeit gut ein halbes Jahrhundert zuvor den Juden hinter dem Mercato Vecchio mitsamt einer wohlklingenden Schutzerklärung zugeteilt hatte.
    Zwar wurde seit eh und je von den Kanzeln der Pfarr- und Klosterkirchen, die sich in jedem Stadtteil zu Dutzenden fanden, geifernd und selbstgerecht gegen das in alle Welt verstreute Volk der Thora und des Heiligen Landes zu Felde gezogen. Die jüdischen Geldwechsler aber, die Juwelenschmiede, Pfandleiher, Gelehrten und Heilkundigen wollte man in der Stadt ebenso wenig missen wie die kollektive Strafgebühr in Höhe von zweitausend Goldstücken, die sie jährlich an die Kommune zu entrichten hatten, weil sie gottlose Zinsgeschäfte betrieben und damit aufs schändlichste gegen die Heilige Schrift verstießen, die doch jede Art von Zinsgeschäften ausdrücklich untersagte.
    Dass die christlichen Bankherren, allesamt geachtete grandi und nobili und regelmäßig mit hohen Staatsämtern geehrt, ihre Zinsen für Geldeinlagen als Geschenke und die Zinsen für Kredite als Risikoaufschläge deklarierten, diese Heuchelei war bislang noch keinem übel aufgestoßen, schon gar keinem Kirchenfürsten oder Papst. Zu teuer war das verschwenderische Leben, das sie führten, als dass sie es gewagt hätten, sich mit Männern aus dem Hause Medici, Strozzi, Bardi, Peruzzi, Pitti oder Tornabuoni anzulegen, die als Bankherren ihren Hofstaat, ihre Mätressen und ihre ständigen Kriegszüge finanzierten.
    Wie verlogen die Welt doch ist, sinnierte Pater Angelico, während er mit gesenktem Kopf den Regenschauern trotzte, und nahm sich selbst davon nicht aus. Verlogen waren sie alle, die sie sich Christen nannten und doch so wenig christliches Verhalten an den Tag legten. Das war für ihn das eigentliche Kreuz mit dem Kreuz. Und dass es mit seiner eigenen Demut, Uneigennützigkeit und Selbstzucht auch nach fast siebzehn Jahren Klosterleben noch nicht weit her war, bedrückte ihn dabei mehr als die Verfehlungen kirchlicher Würdenträger.
    Seine innere Zerrissenheit stand in einem beängstigenden Widerspruch zu seiner monastischen Berufung. Dass selbst Heilige vor diesem inneren Widerspruch nicht gefeit gewesen waren und zeitlebens gegen ihre inneren Dämonen gekämpft hatten, tröstete ihn zwar gelegentlich, brachte ihm jedoch nicht die ersehnte innere Ruhe.
    Die fand er in letzter Zeit nur noch, wenn er in seiner Werkstatt mit Pinsel und Palette an der Staffelei stand oder irgendwo an einem Fresko arbeitete. Dann war er ganz eins mit sich und vergaß alles, was seine Seele sonst in Unruhe versetzte. Den Lobpreis Gottes in Bildern zu feiern, war eine Berufung, derer er sich absolut sicher sein durfte. Und für dieses himmlische Geschenk war er in einem Maße dankbar, das er nicht in Worte hätte fassen können.
    Kurz nachdem er den offenen Domplatz von Santa Maria del Fiori umgangen hatte, verloren die Regenschauer ihre wütende Kraft und verebbten zu einem harmlosen Nieselregen, so als sei dem Wind nach all dem grimmigen Toben die Puste ausgegangen, als hätten die dunklen Wolken kein Wasser mehr. Vielleicht legte das Unwetter aber auch nur eine Atempause ein, um sein sturzbachartiges Wüten bald wieder aufzunehmen.
    Pater Angelico schickte einen stummen Dank gen Himmel, dass er vorerst nicht mehr durch stockfinstere Gassen hasten und dabei fast blind durch allerlei Unrat stapfen musste. Endlich konnte er den direkten Weg nach San Marco einschlagen und auch breitere Straßen entlanggehen. Dort war es leichter, dem allgegenwärtigen Dreck und Abfall auszuweichen, den die Florentiner noch immer rücksichtslos aus den Fenstern auf die Straßen und Gassen kippten, den Inhalt ihrer Nachttöpfe eingeschlossen.
    Auf den gepflasterten Verkehrsadern der Stadt fiel schon hier und da der
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