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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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    E s gab kein Entkommen. Die ersten Gehöfte entlang der Landstraße standen bereits in Flammen, als die stradiotti von zwei Seiten in das Dorf am Fuße des Monte Rotondo galoppierten. Die leichte Kavallerie des condottiere Bastiano Torentino fiel über die Dorfbewohner her wie ein Rudel Wölfe über eine Herde ahnungsloser Schafe.
    Der Stahl der blankgezogenen Schwerter, der Streitäxte und Lanzen blitzte im grellen Mittagslicht des drückend heißen Augusttages. Nicht weniger unheilvoll funkelten Brustharnische, Stechhelme und Kettenhemden. Es war ein kaltes Glitzern, das den Tod ankündigte.
    »Macht sie nieder!«, brüllte Bastiano Torentino, der als Söldnerhauptmann eine corazza von mehr als fünfhundert Mann befehligte und an der Spitze seiner Hauptstreitmacht ins Dorf preschte. »Alle! Ohne Ausnahme! Ihr Blut für das unserer Kameraden!«
    Mit wilder Mordlust nahmen die vorderen Stradiotti den Befehl auf und gaben ihn brüllend nach hinten weiter. Sie wollten Vergeltung für ihre fünf Toten. Aber mehr noch tobte in ihnen – Landsknechte, die sie waren – die Wut darüber, dass eine Bande von Briganten es nicht nur gewagt hatte, die Wagen ihres weit zurückgefallenen Trosses zu überfallen, sondern auch noch mit den geraubten Pferden, Waffen und Vorräten in die nahen Berge hatte entkommen können. Diese Schmach zu tilgen, das vermochte nur Blut, und viel Blut musste es sein!
    In seiner blindwütigen Rachsucht kannte Bastiano Torentino keine Gnade. Dass die Bauern und Dorfbewohner dieses Landstrichs mit der Räuberbande vermutlich nichts zu schaffen hatten und dass keiner von ihnen wusste, wo in den zerklüfteten Bergketten der Abruzzen die Räuber sich versteckten, kümmerte ihn nicht. Das Dorf lag im Feindesland, und damit gab es für ihn keinen Grund, auch nur einen Hauch von Milde walten zu lassen. Zumal der Feldzug nicht verlief wie erhofft. Unter solchen Umständen war die Strategie der verbrannten Erde schon immer ein probates Mittel gewesen; man schwächte die feindlichen Truppen, indem man ihre Versorgung gefährdete.
    Und so begann die Blutorgie. Ein erbarmungsloses Hauen und Stechen und Abschlachten, begleitet von infernalischem Geschrei; vom Gebrüll der wütenden Landsknechte, das die gellenden Klagen der wehrlosen Opfer noch übertönte.
    Dichter Blutregen flog von den Klingen, die aus niedergestreckten Leibern gerissen wurden und vor dem nächsten tödlichen Hieb durch die Luft schnitten. Blut spritzte den Waffenknechten durch das hochgeklappte Visier ins Gesicht, lief in dreckigen Strömen über Brustpanzer und Kettenhemd. Es troff auf das Fell der Pferde, die unruhig die Nüstern blähten und so manchen Dorfbewohner, der gefällt und in den Dreck geworfen worden war, zu Tode trampelten.
    Johlend machten die Landsknechte, bewaffnet mit Bogen oder Armbrust, Jagd auf jene, die aus dem Dorf zu fliehen suchten, lieferten sich einen Wettstreit, wer von ihnen aus dem Lauf heraus den besseren Schuss zu setzen vermochte.
    Pfeile und Bolzen bohrten sich in magere Kinderrücken und rissen alte, faltige Kehlen auf. Und die Lanzenträger sprangen nach dem ersten Niederstechen vom Pferd, rammten Männern, Frauen und Kindern ihren Spieß in den Leib und nagelten so manches Opfer an ein Scheunentor, eine Schuppenwand oder Haustür.
    Hier und da flog auch ein Seil über einen kräftigen Ast und brachte einem Dörfler den Tod durch den Strang. Und bald schon loderten die ersten Brandfackeln auf und flogen in Stallungen, Scheunen und Wohnhäuser.
    Es hatte keine Bedeutung, wie jung oder wie alt oder welchen Geschlechts ein Dorfbewohner war – keiner kam mit dem Leben davon. Auch nicht der blinde Junge, der, seine Flöte in der Hand, am Dorfeingang direkt an der Landstraße auf einer Viehtränke saß. Bastiano Torentino selbst schlug ihm im Vorbeireiten den Kopf vom Rumpf – so gleichgültig, wie man ein Blatt von einem Strauch reißt und fallen lässt, ohne im Gespräch mit seinem Begleiter auch nur kurz zu stocken.
    Als Angelico Crivelli wenige Minuten nach Beginn des Gemetzels mit der Nachhut und den leichten Geschützen im Dorf eintraf, bot sich ihm ein grauenhafter Anblick. Ihm war, als sei das, was in der Bibel als Apokalypse geschildert wurde und was schon mancher Maler in Bilder zu fassen versucht hatte, an diesem Ort Wirklichkeit geworden.
    Wo er auch hinschaute, sein Blick fiel auf abgetrennte Gliedmaßen, zertrümmerte Schädel, gespaltene Brustkörbe, aufgeschlitzte Leiber und ein Meer von
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