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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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hilfreiche Lichtschein einer Torlaterne oder einer Öllampe, die in einer Wandnische ein Madonnenbildnis beleuchtete, auf den Gehweg. Und wer einen Palazzo sein Eigen nannte, ließ es sich meist nicht nehmen, die prächtige Fassade seines Hauses bei Nacht in den flackernden Schein mehrerer Pechfackeln zu tauchen.
    Pater Angelico kam aus der Via del Cocomoro, die im Norden in die Piazza di San Marco mündete. Majestätisch ragte die gewaltige Fassade der Klosterkirche in den dunklen Nachthimmel und warf ihren pechschwarzen Schatten auf die weiträumige Piazza, auf der der Mercato Vecchio gut dreimal Platz gefunden hätte.
    Gerade wollte er sich nach links wenden und den Vorplatz überqueren, als er die Gestalt bemerkte. Sie trat auf der Ostseite des Klosterkomplexes aus der Seitenpforte und hielt eiligen Schrittes auf die Via della Sapienza zu, die von der Piazza in die südöstlichen Stadtviertel führte.
    Er erkannte den hageren Klosterbruder sofort an dem dichten Ring schlohweißer Haare, der seine Tonsur wie ein Silberkranz umschloss. Aber auch wenn der Mönch sich die Kapuze tief in die Stirn gezogen hätte, wäre Pater Angelico klar gewesen, dass es Pater Nicodemo war, den es da zu nächtlicher Stunde aus dem Kloster trieb. Denn der zog seit einem bösen Treppensturz fünf Jahre zuvor das rechte, steif gebliebene Bein unübersehbar nach.
    Rätselnd, was einen derart frommen und dem gemeinschaftlichen Chorgebet treu ergebenen Mann wie Pater Nicodemo dazu treiben mochte, die Vigilien zu versäumen und mitten in der Nacht San Marco zu verlassen, änderte er seine Richtung und ging dem Bruder entgegen. Der musste für sein Handeln einen schwerwiegenden Grund haben, einen, der ihm keine Wahl gelassen hatte.
    Und das konnte bei einem Priester nur eines bedeuten, nämlich dass für eine der ihm anvertrauten Seelen der schwarze Schleier des Todes nahte.

5
    D ie beiden padres erreichten die Ecke zur Via della Sapienza nahezu gleichzeitig. Der ergraute Dominikaner zeigte sich nicht im mindesten überrascht, zu dieser nächtlichen Stunde außerhalb der Mauern von San Marco auf seinen fast dreißig Jahre jüngeren Klosterbruder zu treffen.
    Jeder im Konvent wusste, dass Pater Angelico als Malermönch oft außer Haus war und manchmal sogar die ganze Nacht fernblieb, wenn die Umstände es verlangten – etwa weil er das Teilstück eines Freskos fertigstellen musste, bevor der intonaco, der Feinputz, trocknete. Weshalb ihm der Prior ja auch einen umfassenden Dispens erteilt und ihn damit von der strikten Einhaltung vieler monastischer Pflichten entbunden hatte, sofern diese mit den Notwendigkeiten seiner Malerei kollidierten.
    »Kein gutes Zeichen, Euch um diese Uhrzeit bei einem Gang in die Stadt anzutreffen, werter Bruder«, sagte Pater Angelico, der sich mit dem Älteren nicht nur gut verstand, sondern ihn als einen belesenen und gebildeten Mann auch überaus schätzte. »Zumal bei diesem elenden Wetter, das Eurem Bein sicherlich alles andere als Freude bereitet.«
    Pater Nicodemo lachte freudlos. »Grave senectus est hominibus pondus«, seufzte er und rieb sich das Knie. Eine schwere Bürde ist dem Menschen das Alter.
    Pater Angelico nickte und antwortete ihm auf Latein, das der Bruder so liebte: »Nascentes morimur, finisque ab origine pendet.« Indem wir geboren werden, sterben wir, und das Ende beruht auf dem Anfang.
    Der weißhaarige Mönch lächelte müde. »Ja, das hat Marcus Manilius trefflich gesagt. Ich wünschte, ich hätte die Zeit, seine Astronomica noch einmal zu lesen, allein schon wegen seines perfekten Versmaßes. Aber in meinem Alter heißt es mehr denn je: Tempori parce! « Geh sparsam mit deiner Zeit um!
    »Infinita est velocitas temporis, quae magis apparet respicientibus«, pflichtete Pater Angelico ihm bei. Unermesslich ist die Eile der Zeit, was denen mehr auffällt, die zurückblicken. »Aber was bringt Euch denn heute um die Vigilien, werter Bruder?«
    Pater Nicodemo machte ein bekümmertes Gesicht. »Ser Aurelio. Seine Frau hat nach mir geschickt. Mit ihrem Mann hat es sich offenbar zum Bösen gewendet. Und als sein langjähriger Beichtvater …«
    Pater Angelico runzelte die Stirn und fiel ihm ins Wort. »Sprecht Ihr von Aurelio Rovantini, dem Gelehrten aus der Via di Mezzo in Santa Croce?«, vergewisserte er sich.
    Pater Nicodemo nickte.
    »Aber ich dachte, er hätte sich von seinem Reitunfall erholt und sei wieder bester Dinge«, sagte Pater Angelico verwundert. »Hieß es nicht sogar, er
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