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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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des Unwetters abzuwarten.
    Während er die Kreuzung hinter den wehenden Regenschleiern nicht aus den Augen ließ, kreisten seine Gedanken wieder einmal um sein jüngstes Lieblingsthema – nämlich die Schlechtigkeit des Menschen.
    Mit seiner Überzeugung – dass der Mensch an sich unweigerlich schlecht sei – befand er sich in allerbester Gesellschaft, hatte er doch den Allmächtigen auf seiner Seite. Dass es Gott reute, den Menschen erschaffen zu haben, war schon auf den ersten Seiten der Heiligen Schrift belegt.
    Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war.
    Ja, so stand es in Genesis 6, Vers 5 geschrieben, klar und deutlich. Und selbst der alte Noah war der Sintflut mit seiner Familie nur deshalb entkommen, weil er vor den Augen des Herrn Gnade gefunden hatte! Was ja wohl den logischen Rückschluss zuließ, dass auch er keinen Anspruch auf Rettung gehabt hatte, sondern einfach nur ein bisschen weniger schlecht gewesen war als der Rest der Menschen.
    Und Noah war ein mieser Kerl und obendrein ein maßloser Säufer gewesen, daran gab es nichts zu rütteln! Wie verdorben sein Charakter war, konnte man schließlich in Genesis 9 nachlesen. Kaum hatte der alte Knacker wieder trockenen Boden unter den Füßen und die Ernte seines ersten Weinbergs eingefahren, da betrank er sich auch schon sinnlos und lag in seinem Rausch schamlos nackt in seinem Zelt. Wusste der Teufel, wieso er nichts am Leib hatte, aber man konnte sich schon denken, was er außer Saufen in seinem Zelt noch trieb. Jedenfalls bot er am Morgen so splitternackt gewiss keinen schönen Anblick. Was auch sein Sohn Ham fand, als er das Zelt des Vaters betrat. Er erzählte seinen beiden Brüdern davon, und sie schnappten sich einen Überwurf und bedeckten damit die Blöße ihres Vaters.
    Und was tat dieser Saufbold, als er davon erfuhr, dass Ham ihn in all seiner widerlichen nackten Pracht gesehen und seinen Brüdern davon erzählt hatte? Dieser lotterhafte Tyrann geriet dermaßen in Wut, dass er eine lästerliche Verwünschung ausstieß. Aber er verfluchte nicht seinen Sohn Ham, sondern dessen Sohn Kanaan! Was immer der alte Kerl meinte, seinem Sohn vorwerfen zu können, er bestrafte nicht ihn, sondern seinen ahnungslosen und vollkommen unschuldigen Enkel! Was für ein widerlicher Hund!
    Aber wenn schon Noah von so üblem Charakter gewesen war, dann konnte es kein Zufall sein, dass in der Bibel über Noahs Frau, seine Söhne und deren Frauen, die mit ihm auf der Arche entkommen waren, bis auf diese kurze Passage nichts weiter geschrieben stand. Keiner von ihnen konnte wirklich vor Gott bestehen. Wie sonst war die bezeichnende Stelle im Buch Genesis zu erklären, in der es hieß, dass alle Wesen aus Fleisch auf der Erde verdorben lebten?
    Und genauso war es. Ob nun vor oder nach der Sintflut, die Welt war von Grund auf schlecht und der Mensch böse, ein durch die Erbsünde vom ersten Tag an verdorbenes Geschöpf, das sich durch eigenes Tun niemals von seiner Schuld reinwaschen konnte. Deshalb war der Mensch verloren, wie sehr er auch versuchen mochte, ein rechtschaffenes und gottgefälliges Leben zu führen. Was immer er an frommen Werken vollbrachte und an ruchlosen Taten unterließ – nichts davon konnte ihm das Tor zum Himmelreich öffnen. Selbst wenn er danach trachtete, wie ein Heiliger zu leben, auch das vermochte die ihm innewohnende Schlechtigkeit nicht zu tilgen. Allein die Gnade Gottes, dessen Barmherzigkeit grenzenlos war, konnte den sündigen Menschen vor der ewigen Verdammnis retten.
    Eine ausgesprochen befreiende Erkenntnis, wie er fand. Befreiend insbesondere für jemanden wie ihn, der beschlossen hatte, zum Mörder zu werden.

4
    I n den frühen Nachtstunden war ein unfreundlicher, böiger Wind aufgekommen und hatte dunkle Regenwolken über der Arno- Ebene zusammengetrieben. Jetzt schlug er Pater Angelico Regenschauer ins Gesicht wie schallende Ohrfeigen, als wolle er ihn für seinen nächtlichen Besuch bei Jezek züchtigen.
    » Santiddio – gütiger Gott, das hat mir zu meinem Glück heute wahrlich noch gefehlt«, murmelte er, als er sich mit hochgezogener Kapuze und dicht vor der Brust zusammengerafftem Umhang aus dem Schutz der dunklen Hofdurchfahrt wagte und über die ausgestorbene Via Mensano in Richtung des Mercato Vecchio eilte.
    Doch er mied den Alten Markt. Auf dem großen freien Platz hatten Wind und Regen freies Spiel. Dort war er dem
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