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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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sorgten, reichte das Licht allerdings nicht.
    Pater Angelico blinzelte.
    »Wenn Ihr Euch jetzt nicht auf den Weg zum Kloster macht, kommt Ihr zu spät zu Euren Nachtgebeten«, sagte Rebecca. »Gern hätte ich Euch schlafen lassen. Aber Ihr habt darum gebeten, dass ich Euch zur rechten Zeit wecke.«
    Pater Angelico machte ein erstauntes Gesicht und richtete sich schwerfällig auf. »Es ist schon Zeit für die Vigilien?« Seine Stimme war rau, fast kratzig, und machte ihm bewusst, wie ausgetrocknet seine Kehle war.
    Rebecca Jezek nickte.
    »Gütiger Gott!« Pater Angelico schwang die Beine über die Kante der Liege und rieb sich die Augen. Er konnte kaum glauben, dass die Nacht schon halb verstrichen war und die Vigilien ihn zurück nach San Marco riefen, in die Gemeinschaft seiner Klosterbrüder.
    Er war müde, fühlte sich völlig zerschlagen. Aber wann hatte er sich in den vergangenen Wochen einmal nicht so gefühlt? Die Fertigstellung des Gemäldes für Lorenzo de’ Medici, den Stadtherrn von Florenz, und das Ausmalen der Hauskapelle im Palazzo der Petrucci lagen ihm auf der Seele und waren doch die geringsten seiner Probleme. Was ihn viel mehr beunruhigte und bis ins Innerste aufwühlte, war die Tatsache, dass sein Klosterleben bedrohlich aus den Fugen geraten war. Und dabei spielte Lucrezia, die ebenso eigensinnige wie verstörend anmutige Tochter des steinreichen Wollfabrikanten und Medici-Günstlings Marsilio Petrucci, keine unbedeutende Rolle.
    »Ich habe Euch einen Schluck Weißwein gebracht.« Rebecca Jezek wies auf den Zinnbecher neben der Waschschüssel. »Der Vernaccia ist herrlich kalt, und ich habe ihn leicht verdünnt, so wie Ihr es mögt. Er wird Euch erfrischen.«
    »Daran habt Ihr gut getan«, murmelte Pater Angelico, griff nach dem Becher und nahm einen kräftigen Schluck. Kühl und belebend rann der Wein durch seine ausgedörrte Kehle. »Was ich von Eurem Mann leider nicht sagen kann! Hintergangen hat er mich, dieser Schuft! Und zwar aufs übelste!«
    Schuldbewusst sah sie ihn an. »Nun ja, er macht sich Sorgen um Euch«, sagte sie zur Verteidigung ihres Mannes und zuckte hilflos die Achseln. »Also grollt ihm nicht allzu sehr. Er hat es gut gemeint mit Euch.«
    Pater Angelico schnaubte. »Weiß der Teufel, was Gershom da zusammengebraut und mir als Opium verkauft hat«, sagte er grimmig, »von der Blume der Demeter hat sich jedenfalls nicht ein lausiger Tropfen in seine Mixtur verirrt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche!«
    Sie seufzte. »Gewiss, und ich hätte auch nicht das Gegenteil behauptet.«
    »Also was in Gottes heiligem Namen hat er da zusammengerührt?« Tatsächlich fühlte er sich um den versprochenen Rausch und die köstlichen Stunden seliger Weltentrückung und völligen Vergessens schändlich betrogen. Dabei hatte seine gequälte Seele doch so sehr danach verlangt!
    »Ein starkes Schlafmittel mit einer winzigen Prise Engelstrompete und Bilsenkraut, soviel ich weiß. Es sollte Euch nur schnell einen tiefen Schlaf bringen. Ihr wart erschöpft und zugleich so aufgewühlt.« Sie machte eine entschuldigende Geste.
    »Und warum hat er mir vorgegaukelt, es sei sein bestes Opium?«, fragte er verdrossen und rieb sich die Narbe, die sich vom Wangenknochen unter dem linken Auge als feine weißliche Linie bis zum Kinn zog. Bis an sein Lebensende würde sie ihn an Bastiano Torentinos Schwerthieb erinnern – und an die entsetzliche Blutorgie am Fuße des Monte Rotondo. Wenngleich es dieser Narbe als mahnendes Zeichen nicht bedurfte. Dass er nicht vergaß, wer er einmal gewesen war und welche Schuld er in seiner Zeit als Landsknecht – wie kurz sie auch gewesen sein mochte – auf seine Seele geladen hatte, dafür sorgten schon die Alpträume. Zwar waren sie in den mehr als sechzehn Jahren, die er nun schon den Habit eines Dominikanermönchs trug, seltener geworden und suchten ihn barmherzigerweise längst nicht mehr jede Nacht heim. Aber sie quälten ihn doch noch regelmäßig genug, um die Erinnerung beklemmend wach zu halten. Und gänzlich freigeben würden sie ihn wohl nie. Auf die Treue der Dämonen, die man selbst erschaffen hatte, war Verlass.
    Rebecca Jezek bedachte ihn mit einem fast demütigen Blick. »Habt die Güte und seht es ihm nach. Er macht sich, wie ich schon sagte, Sorgen um Euch. Ihr wisst, wie sehr er Euch schätzt. Gerade deshalb wollte er nicht zulassen, dass Ihr in einem Moment der Schwäche und Erschöpfung wieder … nun ja, der Verlockung des Opiums
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