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Der Todesengel von Florenz

Der Todesengel von Florenz

Titel: Der Todesengel von Florenz
Autoren: Rainer M. Schroeder
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wird dem dreckigen Gesindel nicht viel helfen. So, und nun beweg deinen Arsch! Ich will in diesem Drecknest keine Wurzeln schlagen!«
    Erst jetzt nahm Angelico die schrillen Schreie wahr, das Weinen und Flehen um Gnade, die aus dem armseligen kleinen Gotteshaus nach draußen drangen auf den mit Leichen übersäten Platz. Es waren Frauen und Kinder, die da schrien.
    »Ihr müsst von Sinnen sein!«, entfuhr es Angelico, und er starrte den Condottiere mit einem Ausdruck fassungslosen Entsetzens an. »Habt Ihr denn kein Gewissen? Habt Ihr keinen Funken Anstand mehr im Leib, dass Ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, wehrlose Kinder und Frauen abschlachtet und dort im Feuer elendig umkommen lassen wollt? Der Teufel muss in Euch gefahren sein!«
    Bastiano Torentinos Zornesader schwoll an. »Du flaumbärtiges Bürschchen verweigerst mir, deinem Condottiere, den gebotenen Gehorsam?«, fauchte er und hob drohend das bluttriefende Schwert.
    »Ein Condottiere, der ein Massaker an unschuldigen und wehrlosen Bauersleuten für rechtens und wohl auch noch für mannhaft hält, hat sein Recht auf Respekt verwirkt, von Gehorsam ganz zu schweigen!«, schleuderte Angelico ihm voller Verachtung entgegen. »Streicht mich aus eurem Soldbuch und vergesst auch den Lohn, den Ihr mir für die letzten drei Monate noch schuldig seid. Ich will Euer Blutgeld nicht! Mit Euch bin ich fertig, Torentino!«
    »Aber ich nicht mit dir, du Bastard!«, schrie der Condottiere und schlug zu.
    Instinktiv riss Angelico den rechten Arm hoch, und die dicke Lederstulpe seines Handschuhs nahm dem Schwerthieb einen Großteil seiner Wucht, doch sie bewahrte ihn nicht davor, dass die Klinge ihm quer über das Gesicht fuhr.
    In dem Hieb lag noch genug Kraft, um ihn aus dem Sattel zu stoßen. Ein blutiger Schleier legte sich über seine Augen. Und noch während er fiel, verwandelte sich das Blutrot in ein abgrundtiefes Schwarz, das ihn verschlang und jeden Gedanken in ihm ertränkte.

2
    E r versank in einem Meer von Blut und drohte zu ertrinken. Was ihn rettete, war seltsamerweise eine Stimme. Sie kam von weit her und zog ihn nach oben, doch was sie sagte, blieb undeutlich. Dem Klang nach musste es sich um etwas Dringliches handeln. Diesen Eindruck verstärkte noch die Hand, die ihn sanft, aber beharrlich an der Schulter rüttelte, bis das Meer aus klebrigem Blut ihn endlich freigab und er die Augen aufschlug.
    »Pater Angelico, es wird Zeit!«
    Die grässlichen Bilder seines Alptraums verflüchtigten sich wie Rauch im Wind. Stöhnend drehte er sich auf der gepolsterten Ruheliege zu der Stimme um. Im schwachen Schein eines Öllichts nahm er über sich das zart geschnittene Gesicht einer Frau wahr, die mit seltsam mildem und zugleich mitleidigem Blick auf ihn herabsah.
    In seiner Benommenheit hätte er beinahe Lucrezias Namen gemurmelt, doch er konnte den Impuls gerade noch unterdrücken, als ihm bewusst wurde, dass er in das Gesicht von Rebecca blickte, der sanftmütigen Frau des Hebräers und Pfandleihers Gershom Jezek. Und damit wusste er augenblicklich auch, wo er sich befand, nämlich im prèstito seines jüdischen Freundes. Das heißt, genau genommen hielt er sich nicht in Gershoms Pfandleihe auf, sondern im hinteren, verschwiegenen Teil des Hauses. Dort, wo am Fuß einer kurzen Treppe in dämmrigen Kellergewölben der Ort sanfter Träume und seliger Weltvergessenheit auf jenen wartete, der sich in einer der Nischen auf ein weiches Ruhelager sinken ließ und sich dem Rausch des Opiums hingab.
    Die Griechen hatten dem Saft des Schlafmohns diesen Namen gegeben, und Homer hatte ihn in der Ilias als die »Blume der Demeter« besungen. Doch vermutlich hatten schon Tausende Jahre vor ihm andere den Tränen des Mohns gehuldigt, die ebenso Segen sein konnten wie Fluch.
    »Es wird Zeit, Pater Angelico«, sagte Rebecca Jezek erneut mit gedämpfter Stimme und drehte den Docht der Öllampe, die am Kopfende des Ruhelagers auf einem kleinen Wandbord stand, etwas höher. Nun reichte der gelbliche Schein über das kissenreiche Lager in der halbrunden Nische hinaus und hob auch den Beistelltisch mit der Wasserschüssel aus buntem Majolika-Steingut und dem ordentlich gefalteten, sauberen Handtuch aus der Dunkelheit. Licht fiel auch auf einen gefüllten Zinnbecher und ließ die bunten Glasperlen an den Schnüren leuchten, die als Vorhang vor der Gewölbenische dienten. Bis zu dem gusseisernen Dreifuß im Gang, auf dem in einem Becken Kohlen glühten und in dem Gewölbe für Wärme
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