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Verlockung der Nacht

Verlockung der Nacht

Titel: Verlockung der Nacht
Autoren: Jeaniene Frost
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Prolog
    Lasting Peace Cemetery
    Garland, Texas
    »Donald Bartholomew Williams, schaff deinen Arsch wieder her, sofort !«
    Mein Befehl hing noch in der Luft, als eine Bewegung mich nach rechts blicken ließ. Direkt hinter einem Grabmal in Form eines weinenden Puttos stand mein Onkel. Don sah mich an und zupfte dabei an seiner Augenbraue, was sein Unbehagen besser ausdrückte als ein ganzer Wortschwall. In seinem Anzug und mit Krawatte, das Haar wie üblich ordentlich zurückgekämmt, hätte ein unbeteiligter Beobachter ihn für einen typischen Geschäftsmann mittleren Alters halten können. Nur musste man untot oder medial veranlagt sein, um ihn überhaupt sehen zu können.
    Don Williams, vormals Chef einer Geheimabteilung des Innenministeriums, deren Aufgabe es war, die Menschheit vor übernatürlichen Kriminellen zu schützen, war vor zehn Tagen verstorben. Und doch stand er da. Als Geist.
    Ich hatte an seinem Bett geweint, als der tödliche Herzinfarkt ihn ereilt hatte, später seine Kremation veranlasst, mich hinterher wie ein Zombie gefühlt und sogar seine Asche mit nach Hause genommen, um ihn immer bei mir zu haben. Ich hatte ja keine Ahnung gehabt, wie nahe mir Don die ganze Zeit über gewesen war, denn schließlich hatte ich mehrmals geglaubt, ihn aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu haben. Ich hatte mir eingeredet, dass meine Einbildung und der Kummer mir einen Streich gespielt hatten, bis ich vor fünf Minuten festgestellt hatte, dass mein Mann, Bones, meinen Onkel ebenfalls sehen konnte. Obwohl wir uns mitten auf einem Friedhof befanden, auf dem noch die in den jüngsten Kampfhandlungen Gefallenen verstreut lagen und in mir mehrere Silbergeschosse wie fiese kleine Herbstfeuer brannten, galt meine ganze Aufmerksamkeit einer Tatsache: Don hatte mir verheimlicht, dass er noch im Diesseits weilte.
    Mein Onkel schien nicht sehr erfreut darüber zu sein, dass ich seinem Geheimnis auf die Spur gekommen war. Einerseits wollte ich ihm die Arme um den Hals werfen, andererseits hätte ich ihn am liebsten geschüttelt, bis ihm die Zähne klapperten. Er hätte mich einweihen müssen, statt im Hintergrund herumzuschleichen wie bei einem gespenstischen Versteckspiel! Meinem emotionalen Zwiespalt zum Trotz konnte ich Don im Augenblick natürlich weder schütteln noch ihm um den Hals fallen. Meine Hände wären geradewegs durch seine jetzt transparente Gestalt hindurchgeglitten, und auch mein Onkel konnte nichts – und niemanden – in körperlicher Form mehr berühren. Mir blieb also nichts anderes übrig, als ihn mit einer Mischung aus Verwirrung, Freude, Unglauben und Verärgerung über sein Täuschungsmanöver anzustarren.
    »Hast du mir nichts zu sagen?«, erkundigte ich mich schließlich.
    Der Blick seiner grauen Augen ging zu einer Stelle ein kleines Stück hinter mir. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Bones dort aufgetaucht war. Seit er mich vom Halbblut zur vollwertigen Vampirin gemacht hatte, konnte ich Bones fühlen, als wären unsere Auren auf übernatürliche Weise miteinander verwoben. Was sie wohl auch waren. Ich wusste noch immer nicht alles über die Art der Verbindung, die Vampire zu ihren Erzeugern hatten. Fest stand nur, dass es sie gab und dass sie machtvoll war. Schirmte Bones sich nicht ab, nahm ich seine Gefühle als konstanten, mit meiner Psyche verflochtenen Strom wahr.
    Daher wusste ich auch, dass er sehr viel beherrschter war als ich. Sein anfänglicher Schock darüber, Don als Geist zu begegnen, war verhaltener Nachdenklichkeit gewichen. Meine Emotionen hingegen fuhren noch immer Achterbahn. Bones trat an meine Seite, den Blick seiner dunklen Augen auf meinen Onkel gerichtet.
    »Wie du siehst, ist sie wohlauf«, stellte Bones fest, die Worte von seinem britischen Akzent gefärbt. »Wir haben Apollyon aufgehalten, und zwischen Ghulen und Vampiren herrscht wieder Frieden. Alles ist gut.«
    Mir ging ein Licht auf, und ich spürte einen Stich im Herzen. War mein Onkel deshalb noch nicht »im Jenseits«, wie er es hätte sein sollen? Vermutlich. Don war ein noch schlimmerer Kontrollfreak als ich. Er hatte zwar mein wiederholtes Angebot ausgeschlagen, ihn vom Krebs zu heilen, indem ich ihn zum Vampir machte, aber womöglich hatte ihm die schwelende Feindseligkeit unter den Übernatürlichen solche Sorgen gemacht, dass er im Tod nicht ganz hatte loslassen können. Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass es Geister gab, die sich an ihre irdische Existenz klammerten, bis sie sich
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