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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor
Autoren: Leena Lehtolainen
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Präludium
     
     
    Jyri wachte auf, weil ihn die Blase drückte. Er hatte den üblen Geschmack im Mund, den man von Whisky, Bier, Knoblauch und zu vielen Zigaretten nun mal bekommt, und hoffte inständig, dass rote Jaffa-Limonade im Haus war. Die trank er literweise, wenn er einen Kater hatte – außer es stand so schlimm, dass nur noch ein Bier half.
    Es war ein traumhaft schöner Morgen. Tuulia und Mirja saßen auf der Veranda und bereiteten das Frühstück vor, dabei unterhielten sie sich über die Vorzüge verschiedener Käsesorten. In Wahrheit konnten die beiden Frauen einander nicht ausstehen. Aber da die eine der beste Sopran und die andere der beste Alt im ILO, dem Chor der Ostfinnischen Landsmannschaften, war, mussten sie sich irgendwie arrangieren. Mirja war geradezu das Urbild einer Altistin, dunkelhaarig, mollig und melancholisch. Die passende Besetzung für die Zigeunerin in Verdis Troubadour, wie hieß die noch gleich …
    Die Sonne stach in die Augen. Jyri nahm vorsichtshalber zwei extrastarke Kopfschmerztabletten, gegen leichtere war er längst immun. Rote Jaffa war nicht zu finden, aber immerhin gab es Orangensaft. Die ganze Umgebung sah deprimierend frisch und blühend aus: Das Meer schimmerte, die Möwen kreischten am Bootssteg, die Nachmittagshitze war schon zu ahnen. Es würde nicht leicht sein, in dieser Glut zu singen.
    «Na, Jyri, hast du ’nen Brummschädel?», feixte Tuulia. Sie sah selber blass aus, wahrscheinlich hatten sie alle zu wenig geschlafen. Aber who cares? Zur Arbeit brauchten sie erst morgen wieder.
    «Schlafen die andern noch?»
    «Piia wollte schwimmen gehen. Sonst hat sich noch keiner blicken lassen. Die könnten allmählich mal aufstehen, sonst kriegen wir überhaupt nichts mehr getan!» Mirja war sauer, sie hielt nichts von Faulenzerei. Schließlich war die optimale Doppelquartettbesetzung des ILO nicht zum Saufen ins Sommerhaus von Jukkas Eltern gekommen, sondern um für einen wichtigen Auftritt zu proben. Also nichts wie raus aus den Federn, Kaffee trinken und einsingen!
    Jyri stand auf. Schwimmen war eine gute Idee. Das Wasser hatte um die zwanzig Grad, genau richtig. Er schlurfte zum Bootssteg. Piia lag am Strand vor der Sauna, züchtig im Bikini. Bis zum Strand war es Jyri zu weit, und eine Badehose brauchte er auch nicht; einfach die Klamotten runter und ins Wasser!
    Jukka war auch schwimmen gegangen, er lag an einen Uferfels gelehnt im flachen Wasser. Der Kerl musste höllische Kopfschmerzen haben, mit der klaffenden Wunde. Und auch sonst sah er nicht gerade munter aus … Jyri drehte sich der Magen um, er kotzte ins Schilf.
    Es dauerte ein paar Minuten, bevor er aufstehen und sich zur Veranda schleppen konnte, wo jetzt mehr Leute saßen. Jyri hatte eine helle Tenorstimme, um die ihn manche beneideten, aber jetzt brachte er keinen Ton heraus.
    «Was hüpfst du denn da nackig rum?», lästerte Tuulia.
    «Jukka … Da am Steg, Scheiße … Er ist tot! Ertrunken!»
    «Was sagst du?»
    Antti rannte ans Ufer, Mirja ihm nach. Kurz darauf kam Mirja zurück und lief zum Telefon. Man hörte ihren tiefen Alt auf der Veranda, als sie atemlos die Polizei und erst danach den Krankenwagen rief.
     

 
     
     
     
Eins
     
     
    Stromab treibet mein Boot, welches Schicksal ihm droht?
     
    Als das Telefon klingelte, stand ich unter der Dusche und spülte mir das Salz von der Haut. Ich hörte meine eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter, dann die eines Kollegen, der dringend um Rückruf bat. Mein freier Sonntag hatte überraschend lange gedauert, aber es war mir selbst am Strand nicht gelungen, mich zu entspannen. Aus irgendeinem Grund hatte ich mich verpflichtet gefühlt, an meinem ersten freien Hitzetag in diesem Sommer in der Sonne zu braten, obwohl ich es eigentlich hasste. Im letzten Winter war ich regelmäßig ins Fitnessstudio gegangen, sodass meine Bikinifigur so ansehnlich war wie seit Jahren nicht mehr. Die Speckröllchen am Bauch war ich allerdings nicht losgeworden. Dazu müsste ich meinen Bierkonsum einschränken.
    Ich schaltete den Anrufbeantworter aus und wählte die Nummer des Präsidiums. Die Zentrale verband mich mit Rane.
    «Hallo, schöne Frau. Ich steh in einer Viertelstunde bei dir vor dem Haus. Das Köfferchen ist schon gepackt. Wir hätten da ’ne Leiche in Vuosaari, vor einer halben Stunde vom Streifenwagen gemeldet. Du brauchst wohl nix aus deinem Büro? Dann bis gleich!»
    Es geht wieder los, dachte ich, während ich im Schrank nach einem respektablen
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