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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor
Autoren: Leena Lehtolainen
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Kleidungsstück suchte. Mein Dienstrock hing im Präsidium in Pasila, also musste es die bessere Jeans tun. Meine Haare waren nass, aber föhnen wollte ich sie lieber nicht, sonst plusterten sich die roten Zotteln allzu wild auf. Ich schmierte mir Make-up ins gerötete Gesicht und zog meinem Spiegelbild eine Grimasse. Die Frau, die mir entgegenblickte, sah nicht aus wie eine seriöse Kriminalbeamtin: Die gelbgrünen Augen schienen einer Katze zu gehören, die Hanfseillocken verdankten ihre rote Farbe der Chemie (nur Melody und ich …), und das letzte Restchen Seriosität wurde durch meine Stupsnase verdorben, auf der sich obendrein Sommersprossen gebildet hatten. Meinen Mund hatte irgendwer einmal sinnlich genannt, was im Klartext bedeutete, dass die Unterlippe eine Spur zu wulstig war.
    Und diese Göre sollte im hintersten Winkel des Vororts Vuosaari für Recht und Ordnung sorgen?
    Ranes Martinshorn war schon von weitem zu hören. Er liebte es, mit heulenden Sirenen herumzufahren, wie ungefähr die Hälfte aller finnischen Polizisten. Tote laufen nicht weg, aber das brauchte man ja keinem auf die Nase zu binden.
    «Die Jungs von der Technik sind schon vorgefahren», erklärte Rane, als ich zu ihm in den Saab stieg. «Also: eine Leiche in Vuosaari, ertrunken, aber irgendwas scheint nicht zu stimmen. Ein Mann um die dreißig, er heißt Peltonen oder so ähnlich. Die sind da zu zehnt oder so in irgendeiner Villa übers Wochenende, von irgendeinem Chor, und heute Morgen haben sie den Peltonen im Meer gefunden.»
    «Hat ihn jemand reingestoßen?»
    «Keine Ahnung. Wir haben ziemlich wenig Fakten gekriegt.»
    «Wie war das mit dem Chor?»
    «Das sind irgendwelche Sänger.» Rane bog so rasant auf den Ostring, dass ich zur Seite geschleudert wurde und mein Ellbogen schmerzhaft an die Autotür stieß. Seufzend ergab ich mich in mein Schicksal und legte den Sicherheitsgurt an. Er war auf Männerhöhe eingestellt und scheuerte am Hals.
    «Wo ist Kinnunen? Und die anderen? Hast du nicht auch heute frei?»
    «Die Jungs sind noch mit der Messerstecherei von gestern beschäftigt. Hinter Kinnunen hab ich ’ne halbe Stunde hertelefoniert, aber du weißt ja, wie das ist am Sonntag … Der wird in irgendeiner Straßenwirtschaft sitzen und seinen Kater auskurieren.»
    Rane seufzte resigniert. Wir hatten beide keine Lust, weiter über das Thema zu reden. Der Leiter unserer Abteilung, Kommissar Kalevi Kinnunen, war Alkoholiker. Punkt. Ich war in der Hierarchie die Nächste und würde die Ermittlungen leiten, bis Kinnunen seinen Rausch oder seinen Kater überwunden hatte. Punkt.
    «Hör mal, Rane, es kann sein, dass ich den Toten kenne, oder kannte … Das ist eine blöde Situation …»
    «Mein Urlaub fängt morgen an, und den werd ich nicht verschieben. Das ist jetzt dein Fall, ob’s dir gefällt oder nicht. Danach fragt bei uns keiner.»
    Ich wusste, was er dachte. Wenn ich mir meine Fälle aussuchen wollte, wäre ich besser Rechtsanwältin geworden. Rane war mir von Anfang an mit Misstrauen begegnet, wie viele andere im Präsidium auch. Ich war eine Frau, jung obendrein, außerdem war ich keine richtige Polizistin, nicht fest angestellt auf Lebenszeit wie die anderen, sondern nur eine Vertretung, deren Zeit im Polizeipräsidium in zwei Monaten ablief.
    Nach dem Abitur hatte ich mich zum Erstaunen meiner Umgebung an der Polizeischule beworben und war aufgenommen worden. Dabei war ich in der Schule eine Art Rebellin gewesen, eine Punkerin in Lederjacke, und hatte zu allem Überfluss auch noch ein Einser-Abitur hingelegt. Na ja, die zweite Punkerin und schlimmste Schulschwänzerin in unserer Klasse war inzwischen Grundschullehrerin geworden. Mir schwirrten damals idealistische Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft im Kopf herum. Ich bildete mir ein, als Polizistin könnte ich sowohl den Verbrechern als auch ihren Opfern helfen und nebenbei die Welt verbessern.
    Aber schon die Polizeischule war eine Enttäuschung gewesen, obwohl ich mich überraschend gut gegen die Männer behaupten konnte. Immerhin hatte ich schon während der Schulzeit in einer Männerband Bass und mit den «anderen Jungs» Fußball gespielt.
    Klassenbeste blieb ich auch auf der Polizeischule, aber die Arbeit als Polizistin wurde mir letzten Endes zu viel. Nach ein paar Jahren hatte ich genug davon, Berichte zu schreiben, Leibesvisitationen an Stadtstreicherinnen vorzunehmen und das soziale Umfeld von Ladendieben zu untersuchen. Ich brachte damit nur den
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