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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor
Autoren: Leena Lehtolainen
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antut. Und das hat sie ja schließlich auch getan.»
    «Hast du sie besucht?»
    «Ich hab’s probiert. Die Krankenschwester ist zu ihr rein und hat gefragt, ob sie mich sehen will. Sie spricht immer noch nicht, aber sie hat den Kopf geschüttelt. Weißt du, was für eine Strafe sie kriegen wird?»
    «Das hängt von vielen Dingen ab. Wenn sie so weitermacht wie bisher, wird sie wahrscheinlich auf direktem Weg in die Nervenheilanstalt eingewiesen.»
    Wir waren an der Ecke der Iso Roobertinkatu angekommen. Eine Querstraße weiter hatte Jukka gewohnt.
    «Ich bin gerade in Jukkas alte Wohnung eingezogen», sagte Antti, als hätte er meine Gedanken gelesen. «Die Peltonens haben sie mir zu einem Spottpreis verkauft, sie wollten sie so schnell wie möglich loswerden. Ich war es auch satt, in einer Wohngemeinschaft zu leben, dazu bin ich allmählich zu alt. Und Einstein genießt unsere Spaziergänge im Sinebrychoff-Park.» Antti sah mich nachdenklich an, dann sagte er:
    «Ich hab ganz nasse Füße, ich glaub, in meinen Stiefeln sind Löcher. Ich sollte wohl besser nach Hause gehen. Komm doch mit, wenn du nichts Besseres vorhast!»
    An der Tür stand nicht mehr Peltonen, sondern Sarkela. Auch sonst sah die Wohnung verändert aus, hauptsächlich deshalb, weil stapelweise Bücher herumlagen.
    «Ich hab noch nicht alle Regale zusammengebaut. Such dir irgendwo einen Platz.» Er schlängelte sich zwischen den Bücherbergen hindurch ins Schlafzimmer, vermutlich, um trockene Strümpfe anzuziehen.
    Auf einem blauen Sessel lag die größte Katze, die ich je gesehen hatte, und dehnte sich träge. Der Sessel schien ihr Lieblingsplatz zu sein, denn er war über und über mit weißen Haaren bedeckt. Auf dem Rücken und am Kopf war das sonst weiße Fell der Katze schwarzbraun gemustert. Ihr Schwanz war grau getigert, die Schwanzspitze nachtschwarz. Das Tier sprang vom Sessel und strich mir schnurrend um die Beine. Im Nu hatte ich einen Streifen weiße Haare auf meiner schwarzen Hose. Als ich mich bückte und die Katze streichelte, wurde das Schnurren immer lauter.
    «Einstein behandelt jeden, der zur Tür reinkommt, als potenziellen Futtergeber», erklärte Antti, dessen Füße jetzt in grauen Wollsocken Größe fünfzig steckten. «Ich mach uns was Heißes zu trinken.»
    Die Katze flitzte mit ihm in die Küche. Ich sah mir die Bücherstapel genauer an. Antti besaß ein Buch von Henry Parland, nach dem ich vergeblich sämtliche Antiquariate durchforstet hatte.
    «Würdest du mir das leihen?», fragte ich, als er mit zwei dampfenden Bechern aus der Küche kam.
    «Klar. Hier ist ein bisschen Alkohol drin, du hast hoffentlich nichts dagegen.» Vorsichtig nahm ich einen Schluck. Es war Tee mit einem kräftigen Schuss. Der starke Anisgeschmack des Schwarzgebrannten aus Muuriala war unverkennbar.
    «Harter Tee kostet zwölf fünfzig, vierzehn, fünfzehn. (Je nach Lokal)», zitierte ich Henry Parland.
    «Das hier ist ein Lokal der billigsten Preisklasse», lachte Antti, der das Zitat offensichtlich erkannte. Ich verfrachtete ein paar Bücherstapel vom Sofa auf den Fußboden und setzte mich. Antti ließ sich in den Sessel fallen. Der von seinem Stammplatz vertriebene Einstein guckte beleidigt, sprang dann aber zu mir auf das Sofa. Geschickt suchte er sich zwischen den restlichen Büchern ein bequemes Eckchen.
    «Kannst du mir erzählen, was in Tuulias Wohnung eigentlich passiert ist?», fragte Antti mit ernstem Gesicht. Ich trank einen großen Schluck von dem feurigen Tee und fing an. Immer wieder hatte ich nachts wach gelegen und die Ereignisse vor meinen Augen abrollen lassen, aber ich konnte immer noch nicht gleichmütig darüber sprechen. Zuerst fing meine Stimme zu zittern an, dann kamen die Tränen. Als ich am Ende angekommen war, weinten wir beide.
    «Ich fühl mich irgendwie schuldig», meinte Antti schließlich. «Wenn ich dir rechtzeitig gesagt hätte …»
    «Ich versuch mir die ganze Zeit einzureden, dass es nutzlos ist, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das sagt sich so leicht, wenn es einen nicht selbst betrifft. Hast du übrigens noch mehr von diesem schwarzgebrannten Fenchelschnaps?»
    «Aha, du hast ihn also erkannt. Eine halbe Flasche ist noch übrig. Offenbar die letzte vom ganzen Satz. Timo hat gejammert, auf dem Polizeirevier wären zig Liter in den Ausguss gekippt worden.» Antti holte die Flasche aus der Küche und brachte eine Rolle Küchenkrepp mit, mit dem wir uns die Tränen abwischten. Ich hatte Lust, ihn zu
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