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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor
Autoren: Leena Lehtolainen
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Bericht erstattete, und ließen die Tonbandaufnahme abschreiben. Keiner von uns war besonders gesprächig. Die Verantwortung für die Fehleinschätzung lag natürlich bei mir. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Tuulia gewalttätig werden könnte. Kinnunen hatte ja auf die Beine gezielt. Er hatte nur versucht, mir zu helfen. Frauen kommen doch nicht allein zurecht, das weiß man ja. Ich wusste, dass Kinnunen dem Chef etwas in dieser Art erzählen würde.
    Als wir ins Krankenhaus kamen, lag Tuulia schon auf der Intensivstation. Sie hatte eine Gehirnerschütterung, und ihr Rückgrat war gebrochen. Man wusste noch nicht, ob sie durchkam. Wir versprachen der Krankenschwester, Tuulias Eltern zu benachrichtigen.
    «Bist du wieder in Ordnung?», fragte Koivu besorgt, als wir über Kuusisaari in den nördlichen Teil von Tapiola fuhren, wo Tuulias Eltern wohnten.
    «Es geht schon wieder. Ich denk natürlich die ganze Zeit, was wäre, wenn. Vielleicht hätte ich mich einfach fesseln lassen sollen. Ihr hättet sie ja doch geschnappt. Oder wenn ich wenigstens noch etwas länger gewartet hätte. Oder wenn Kinnunen nicht mit seiner Knarre rumgefuchtelt hätte … Verdammt nochmal, kann man dem Kerl nicht endlich einen Schreibtischjob geben? Da kann er keinen Schaden anrichten!»
    «Es war schwierig, allein nach den Geräuschen abzuschätzen, wie ernst die Situation da drinnen war», nahm Koivu ihn in Schutz. «Müssen wir hier abbiegen?»
    «Ja. Das dritte Haus rechts», sagte ich, die Karte auf dem Schoß. «Ich kann das Reden übernehmen.»
    Tuulias Eltern zu erklären, was passiert war, war genauso furchtbar, wie ich es mir vorgestellt hatte. Natürlich musste ich ihnen auch sagen, weshalb ich mit einem Haftbefehl zu Tuulia gegangen war. Sie weigerten sich lange, mir zu glauben. Sie saßen in ihrem adretten Reihenhaus auf dem prächtigen Ledersofa, und ich sah, wie in ihren Gesichtern langsam alles Leben versiegte. Ich war nicht fähig, ihnen etwas Tröstliches zu sagen, sondern gab ihnen die Telefonnummer der Intensivstation und verließ fast fluchtartig das Haus. Der Weinkrampf setzte erst ein, als Koivu von der Kalevantie auf die Umgehungsstraße abbog.
    «Soll ich dich nach Hause bringen?» Nur gut, dass Koivu kein unnötiges Getue machte.
    «Nicht nötig. Ich muss meinen Bericht schreiben, mit dem Chef reden und wohl auch Peltonens Vater anrufen.» Mit einer leicht nach Senf riechenden Papierserviette, die ich im Handschuhfach gefunden hatte, wischte ich mir die Tränen ab. «Und du? Hast du noch was zu tun?»
    «Ich muss dir bei deinem Bericht helfen», lächelte Koivu.
    «Wie wär’s mit mindestens drei Bier nach der Arbeit? Abgeschlossene Fälle muss man doch feiern. Oder hast du in den letzten Tagen schon zu oft in Kneipen rumhängen müssen?»
    Wir bastelten so etwas wie einen Bericht zusammen. Der Chef schien damit ganz zufrieden zu sein, Hauptsache, der Fall war geklärt, auch wenn das Ergebnis für die Polizei nicht gerade schmeichelhaft war. Kinnunens Vorgehen quittierte er mit der Bemerkung, so was käme eben vor. Ich hatte nicht mehr die Kraft, ihm zu widersprechen. Dann rief ich Heikki Peltonen an, der anfangs partout nicht glauben wollte, was ich ihm sagte. Er schrie mich an, ich sollte nicht solchen Mist verzapfen, und gab erst Ruhe, als ich ihm zum fünften Mal die Beweise für Jukkas Aktivitäten aufzählte. Das Gespräch hatte meinen Adrenalinpegel in die Höhe getrieben. Meine Gereiztheit wuchs, als gleich darauf ein Reporter von «Iltalehti» anrief. Ich hatte Peltonen gerade versprochen, dass wir uns gegenüber der Presse bedeckt halten würden. Der Fahrer des Unglückswagens war aber offenbar darauf erpicht, in der Öffentlichkeit zu stehen, und hatte den Reporter angerufen. Ich sah die Schlagzeilen schon vor mir: Fahrlässigkeit der Polizei TÖTET Verdächtige. Ich beantwortete die Fragen des Reporters so knapp wie möglich. Nachdem ich den ganzen Abend geredet hatte, war mein Mund trocken wie Kiefernrinde.
    Um halb zehn saßen Koivu und ich im Kellerlokal des alten Studentenhauses. Koivu bestellte ein Bier, ich einen Jack Daniels. Ich stürzte mein Glas in einem Zug herunter und bestellte gleich noch einen. Die ältliche Kellnerin verzog keine Miene. Sie hatte in ihrem Leben Tausende Liter Whisky serviert und garantiert schon durstigere Gäste erlebt als mich.
    Schon bald sank das Wärmegefühl von der Speiseröhre in den Magen und stieg von da nach einer Weile auf geheimnisvollen Wegen in den
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