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Alle Singen Im Chor

Alle Singen Im Chor

Titel: Alle Singen Im Chor
Autoren: Leena Lehtolainen
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Kopf. Koivu trank sein Bier und klagte über Hunger. Wir bestellten in reichlich Fett gebratene Steaks und Bier dazu. Koivu kommentierte die Erfolge der finnischen Sportler bei der Olympiade, die gerade zu Ende gegangen war.
    Ich zog über die männlichen Sportskanonen unseres Landes her, woraufhin er anfing, die Oberschenkel der Weitspringerin Ringa Ropo zu bemäkeln. An denen war meiner Meinung nach nichts auszusetzen, also zankten wir uns eine Weile über dieses weltbewegende Thema. Wir redeten verzweifelt über alle Nebensächlichkeiten, die uns einfielen. Ich glaube, Koivu spürte die Beklemmung hinter meiner aufgesetzten Heiterkeit, hatte aber keine Lust, mich zu therapieren.
    Nach den zwei Bier zum Essen und einem dritten Whisky sah Koivu immer niedlicher aus. Der Gedanke, in den Armen dieses großen Blonden mit dem lieben Gesicht einzuschlafen, war verlockend. Aber ich wusste, dass ich das auf längere Sicht bereuen würde. Ich brauchte noch ein paar Monate lang einen guten Kollegen. Es wäre dumm gewesen, unsere gute Teamarbeit für einen vom Schnaps beflügelten One-Night-Stand zu opfern. Mehr konnte zwischen uns ohnehin nicht sein. Ich lächelte Koivu müde an und sagte, ich würde jetzt nach Hause stapfen, ließ mich dann aber doch überreden, noch einen Black Jack zu bestellen. Während ich den trank, erörterten wir eingehend, welche Chancen Carl Lewis hatte, bei den letzten Meetings des Sommers die Neun-Meter-Marke zu überspringen. Auf dem Heimweg teilten wir uns ein Taxi. Als ich in Töölö ausstieg, wollte Koivu unbedingt mit zu mir, aber ich schickte ihn nach Hause und erklärte ihm mit der Autorität der vier Jahre Älteren, morgen würde er froh darüber sein.
    Obwohl ich betrunken war, fand ich keinen Schlaf, bevor ich im Krankenhaus angerufen hatte. Tuulia war operiert worden und würde aller Wahrscheinlichkeit nach am Leben bleiben. Der Schnaps und das fette Essen rumorten mir im Magen. Ich nahm zwei Aspirin und wusste, dass ich mich morgen noch schlechter fühlen würde.
     

 
     
     
     
Finale
     
     
    Stromab treibet mein Boot
     
    Die Stadt wirkte an diesem Freitagabend schon sehr herbstlich. Das Wetter war von der Sorte, die die meisten Menschen hassen: kühl, neblig, regnerisch. Mich verlockte dieses Wetter zu einem Spaziergang am Ufer, um nachzudenken. Ich hatte gerade alle Papiere zum Mordfall Jukka Peltonen fertig gestellt, in der nächsten Woche stand der Fall zur Verhandlung an.
    Das Problem dabei war, dass die Angeklagte nicht vor Gericht erscheinen würde. Tuulia hatte zwar überlebt, aber es würde noch lange dauern, bevor sie den Gerichtssaal betreten konnte. Sie hatte mehrere Brüche am Rückgrat, ihre Beine waren gelähmt. Zwar bestand nach Ansicht der Ärzte Aussicht auf Genesung, doch dazu waren mehrere Operationen notwendig.
    Ich wusste nicht, ob Tuulia psychisch jemals wieder ganz hergestellt sein würde. Sie weigerte sich systematisch, zu sprechen. Einen organischen Grund hatte man nicht gefunden, und sie verhielt sich im Übrigen auch ganz normal – sie aß und schlief, las die Bücher, die man ihr gab, schrieb manchmal sogar ein paar Sätze. Aber sie sprach nicht.
    Ich hatte versucht, Tuulia zu besuchen. Man ließ mich auch zu ihr. Koivu hatte ihr zwar vorher schon das Protokoll ihrer Aussage gebracht, und sie hatte ihre Unterschrift darunter gesetzt, aber ich wollte ihr noch einige Fragen stellen. Auch im Rauschgiftdezernat und bei der Sitte interessierte man sich für ihre Taten, doch ich bildete mir ein, mit mir würde sie am ehesten reden. Damals wusste ich noch nicht, dass Tuulia mit niemandem sprach.
    Natürlich wollte ich sie auch sehen. Ihr Gesicht hatte mich gequält, ihre Miene in dem Moment, bevor sie aus dem Fenster sprang, ihr Lachen beim Bier im «Elite», ihre kalten Hände, die gegen meine schlugen … Ich hatte immer wieder überlegt, was ich eigentlich für Tuulia empfunden hatte. Auch jetzt dachte ich darüber nach.
    Ich war über den langen Klinikflur zu dem abgeschlossenen Privatzimmer gegangen. Juristisch gesehen befand sich Tuulia in Untersuchungshaft. Ich bat die Krankenschwester, mich mit Tuulia allein zu lassen. Das Zimmer war klein und unfreundlich, auf dem Fensterbrett blühte eine zartrote Topfrose, auf dem Nachttisch stand eine Kerze neben einem Band Gedichte von Edith Södergran, in der Ecke gegenüber dem Bett ein Fernseher. Das Zimmer sah aus wie eine Zelle. Tuulia lag in einem schmalen Eisenbett und wirkte trotz ihrer Länge klein
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