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Mein schwules Auge

Mein schwules Auge

Titel: Mein schwules Auge
Autoren: Rinaldo Hopf u.a.
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Jim Baker ROBERT UND JANINE
    aus Mein Schwules Auge 3
    Fragt man einen Schwulen: „Wann hast du eigentlich gemerkt dass du schwul bist?“, wird er höchstwahrscheinlich antworten: „Irgendwie habe ich’s einfach immer gewusst.“ Andere erzählen die klassische Geschichte, in der Pubertät festgestellt zu haben, sich in Jungs statt in Mädchen zu verlieben. Solche Geständnisse werden dann häufig von bestimmten männlichen Sexobjekten begleitet, zum Beispiel Sportlehrer, Klassenkamerad oder zumindest ein Musikstar. Selten bekommt man als Antwort einen ganz bestimmten Moment genannt, einen Augenblick, in dem die Erkenntnis einen blitzartig ereilt, „so“ zu sein, ein Erlebnis, wenn die eigene Homosexualität einem plötzlich so irreversibel erscheint, dass man sich fragt, wieso man nicht früher drauf gekommen war.
    So ein schicksalhafter Moment ereignete sich bei mir, als ich vierzehn Jahre alt war.
    In diesem Alter suchte ich fast täglich eine Ausrede, mit meinen beiden Brüdern und meinem Vater nicht Basketball spielen zu müssen. Da es die siebziger Jahre waren und wir mitten in der Pampa lebten, gab es nicht allzu viele Möglichkeiten, einen glaubhaften Vorwand vorzuschieben. Daher erzählte ich meiner Mutter, dass ich mit den anderen draußen spielte, während ich den „Jungs“ draußen erzählte, ich müsste meiner Mutter helfen. Dann haute ich einfach ab, unternahm lange Spaziergänge durch den Wald und sehnte mich danach, in einer Stadt zu leben, dabei war es mir egal in welcher, Hauptsache nicht in dieser erzkonservativen Gegend, in den USA so treffend den „Bibel-Gurt“ nennt.
    Bei uns zu Hause gab es nur eine einzige nennenswerte Landstraße, also lief ich während meiner Streifzüge im Wald gezwungenermaßen am Straßenrand entlang, wenn ich vor Einbruch der Dunkelheit schnell nach Hause wollte. Dabei dachte ich über das aufregende Leben in der Stadt nach – in New York, zum Beispiel, oder zumindest in Atlanta. Da, wo es Bürgersteige gab und nicht diese verfluchte Einöde, eine Gegend, in der Kühe zahlreicher als Menschen waren.
    An einem grauen, nassen, aber sonst nicht sonderlich bemerkenswerten Tag im Oktober lief ich am Straßenrand lang, auf dem Weg zum nahe gelegenen See. Plötzlich erspähte ich etwas im Straßengraben liegen, was nicht einem überfahrenen Opossum oder einem leer getrunkenen Sechserpack Budweiser ähnlich sah, die ich häufig im Straßengraben fand. Ich bückte mich nach dem Gegenstand, hob ihn langsam und vorsichtig auf, betrachtete ihn von allen Seiten, roch sogar dran. Dann vergewisserte ich mich, dass niemand mich beobachtete, was im Nachhinein eine seltsame Vorstellung ist, denn außer vor und nach dem Schichtwechsel in der etwa fünf Meilen entfernten Möbelfabrik war in dieser Gegend sowieso nichts los. Dann verstaute ich meinen Schatz schnell und verstohlen machte ich mich schleunigst auf den Weg zu meinem Versteck im Wald. Wie jeder „richtige“ Junge hatte auch ich mir eine Art Baumhaus zurecht gezimmert. Eigentlich bestand es nur aus ein paar Brettern, notdürftig über zwei Äste gelegt. Doch als Zuflucht leistete es mir in dieser schwierigen Phase meines Lebens tapfere Dienste.
    Besagten Oktobernachmittag suchte ich also genau diese Stelle auf, um in Ruhe und ohne die neugierigen Blicke meiner Brüder die Beute genauer in Augenschein zu nehmen. Zu Hause wäre es zweifelsohne wärmer und trockener gewesen, doch da ich erst mit sechzehn ein eigenes Zimmer bekommen sollte, kam eine Lektüre unter der Bettdecke nicht wirklich infrage. Denn es war ein Heft, keine Hochglanzillustrierte, sondern eine Schwarz-Weiß-Broschüre mit „schmutzigen Fotos“. Auf etwa sechzig Seiten wurde in Wort und Bild das dargestellt, wovon die Jungs auf dem Schulhof immer erzählten: Sex.
    Im Oktober wird es bei uns auf dem Land schon ziemlich früh dunkel, und im Laufe der nächsten Wochen kroch die Dämmerung unaufhaltsam näher, was die Stunden, die ich nach der Schule in meinem Baumhaus verbringen durfte, drastisch verkürzte. Inzwischen hatte ich alle Geschichten gelesen und sämtliche Bilder der sich amüsierenden Paare genau untersucht. An dieser Stelle will ich auch nicht verheimlichen, dass die Lektüre meine pubertierende Fantasie sehr beflügelte und mir zu vergnüglichen Stunden verhalf. Doch leider bietet ein Baumhaus mitten im Wald nicht wirklich Schutz vor den Elementen. Im Klartext heißt das, dass mein Schmuddelheft mit jedem Tag feuchter und unleserlicher
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