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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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I. Letztes Bild
    Keines Blickes würdigte Willy Brandt Helmut Schmidt beim Kölner Sonderparteitag der SPD im November 1983 in den tristen Messehallen, und auch der Kanzler a. D. wollte offenkundig am liebsten nicht mehr zum Parteivorsitzenden Brandt hinsehen: blass, versteinert ihre Mienen, kein Sieger, nirgends. Lediglich noch dreizehn von vierhundert Delegierten hatten sich soeben bei der Abstimmung bereit gezeigt, Helmut Schmidts Position mitzutragen, die überwältigende Mehrheit votierte mit Willy Brandt endgültig dagegen, dass atomare Mittelstreckenraten auf deutschem Boden stationiert werden. Es war das Ende eines vierjährigen Konflikts, wie ihn die Bundesrepublik selten erlebt hatte. Einsam war es um Schmidt geworden, der in der Welt ähnlich viel Respekt genoss wie Brandt. Als Kanzler war er bereits abgewählt, dreißig Kilometer entfernt von der Messehalle saß Helmut Kohl als sein Nachfolger im Kanzleramtsbüro und leitete vom leicht erhöhten Chefsessel aus die Kabinettssitzungen. Kühl verkündete er, Schmidts Kurs zu vollenden und die Raketen zu stationieren – dass er auch Kontinuität in der Brandt’schen Ostpolitik wahren wolle, davon sagte er nichts. Nach seinem Amt verlor Schmidt jetzt auch noch diesen Konflikt in der eigenen Partei.
    In diesem Bild, Brandt und Schmidt, die sich nicht anblickten, leuchtete die ganze komplizierte Beziehung noch einmal auf. Lange hatten sie verschleiern wollen, dass sie in unterschiedliche Himmelsrichtungen zerren – aber nun kam es zum Schwur. Es sah so aus, als kollidierten Realpolitik (Schmidt) und Idealismus (Brandt), und der führende Exponent der Realpolitiker unterlag. Natürlich war das eine trügerische Vereinfachung, Brandt war kein Idealist. Aber Schmidt selbst hatte dazu beigetragen, dass man ihren Zwist so deutete; seine Widersacher, spitzte er gerne zu, verweigerten sich den Realitäten. Daher hatte diese Szene etwas von High Noon . Ein Hauch von Bitterkeit haftete dem an, alle drängte es aus dem Saal, als wollten sie flüchten.
    Auf der Rolltreppe in der Messehalle begegneten sie sich noch einmal auf dem Weg zu ihren schwarzen, bleiverglasten Limousinen und den wartenden Chauffeuren. Journalisten, die es beobachteten, haben die wenigen Sekunden nie vergessen: Sie sahen sich an, Willy Brandt und Helmut Schmidt, und sie sahen sich nicht. Was man sich spontan wünschte, war offenbar ganz und gar unmöglich für sie – sie gingen nicht aufeinander zu, keiner schüttelte dem anderen versöhnlich die Hand. Den ersten Schritt, dachte man unwillkürlich, hätte in diesem Augenblick Brandt machen müssen, denn er hatte sich durchgesetzt. Aber zu viel war geschehen. So blieb das haften, als enthülle das letzte, dramatische Bild ein endgültiges Zerwürfnis – und die nackte Wahrheit. Diese Geschichte ist nie zu Ende erzählt worden.
    Der eine war in der Emigration, der andere Wehrmachtssoldat. Der eine hatte eine normale Jugend in Deutschland erlebt, der andere gehörte zu den raren Ausnahmen, er wich vor Hitler über Dänemark nach Skandinavien aus, die Nationalsozialisten expatriierten ihn und er wurde norwegischer Bürger. Nur fünf Jahre trennten sie, nicht viel, wie man meinen könnte. Willy Brandt kam am 18. Dezember 1913 zur Welt, Helmut Schmidt am 23. Dezember 1918, entscheidende fünf Jahre, nach seiner festen Überzeugung. Der Ältere wurde im Jahr 1969 Kanzler, 1974 trat er in der Affäre um den Ostberliner Agenten im Kanzleramt, Günter Guillaume, zurück; der Jüngere folgte ihm – zögernd – nach und blieb bis zum Herbst 1982 strapaziöse achteinhalb Jahre im Amt. Beide, Brandt wie Schmidt, hatten in diesen dreizehn Jahren das Bild der Republik – damals noch geteilt – weltweit verändert; und die Welt interessierte nicht, ob sie sich überworfen hatten. Gleichwohl, politisch bedeutsam und folgenreich war ihr kompliziertes Verhältnis untereinander, und das hing mit ihren Lebensgeschichten zusammen. Vielleicht hat das Duo Brandt-Schmidt, gerade weil sich so wenig zu fügen schien, am Ende gemeinsam eine solche Wirkung entfaltet?
    Mit einem Lob für Willy Brandt und Herbert Wehner ließ Helmut Schmidt bewusst eines seiner Erinnerungsbücher, Weggefährten , ausklingen. Das Triumvirat, wünschte der Autor Schmidt sich nachdrücklich beim Rückblick, habe Anspruch auf Respekt vor der gemeinsamen dauerhaften Führungsleistung. Sie hätten gestritten – aber nicht öffentlich. Selten sei es laut zwischen ihnen geworden wie im Jahr
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