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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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1974 in jenen dramatischen Stunden in der Klausur von Münstereifel, als die Führungsgarnitur der Sozialdemokraten mit Willy Brandt über sein Verbleiben oder seinen Rücktritt nach der Enttarnung Guillaumes beriet und er zornig dagegen plädierte. Geschämt habe er sich später dafür. Fast etwas wie Abbitte leistete Schmidt in einem Aufwasch gleich auch noch für das Jahr 1972: Wenn Brandt nach seinem triumphalen Erfolg bei den Bundestagswahlen den Eindruck gehabt haben sollte, er hätte ihm diesen Sieg nicht gegönnt, sei das falsch. «Nicht im Traum» habe er an eine eigene Kanzlerschaft gedacht. Und dann Schmidts Erinnerung an ihr letztes Treffen, bei seinem Besuch in Unkel am Rhein in Brandts Privathaus kurz vor dessen Tod, eine Erinnerung, die in einem Bekenntnis, beinahe einem Seufzer, ja einer versöhnlichen Formel für die Ewigkeit mündete. Streit und Dissens, das leugnete er nicht, habe es im Laufe ihrer langen gemeinsamen Geschichte gegeben – «jedenfalls aber war dies 1992 bei ihm genauso vergessen oder abgesunken wie bei mir Willy Brandts Votum gegen den Nato-Doppelbeschluß im Jahr 1983.» Rechtzeitig hätten sie sich «als Freunde wiedergefunden».[ 1 ] Aus dem Protokoll der Geschichte war, wie Helmut Schmidt es sah, all dieser Kleinkram fortan gelöscht. Ähnlich wiederholte es der Autor in seinen Erinnerungen später noch einmal, als solle man es bloß nicht überlesen oder vergessen: «Wir haben uns als Freunde empfunden – und ich werde mich auch fürderhin einen Freund Willy Brandts nennen.»[ 2 ]
    Freunde? Ja, Freunde seien sie gewesen, auch mir gegenüber bekräftigte der alte Herr es noch einmal in seinem Büro im Hamburger Pressehaus am Speersort, in dem er so gern residiert. Ihre Konflikte ließen sich nicht aus dem Protokoll der Geschichte streichen, aber mit «1989» hatten sie sich doch einfach erledigt, gibt er mir zu verstehen. Und dann, geradezu um Verständnis werbend für seinen Vorgänger im Kanzleramt: Ob ich mir klar sei darüber, wie sehr Brandt unter Depressionen litt? Er jedenfalls sei sich sicher, ohne diesen Befund könne man vieles an Brandts Verhalten nicht richtig verstehen.
    In den Sinn kamen mir beim Zuhören einige Zeilen des Brandt-Biographen David Binder, eines renommierten Korrespondenten der New York Times , der beide Kanzler gut kannte und den sie schätzten. Binder erinnerte sich folgendermaßen an Schmidts Worte: «Ich habe ihm meine Freundschaft angeboten. Das muss 1959 gewesen sein, denke ich. Aber er wollte sie nicht. Ich denke, er ist sehr einsam. Ich denke auch, er hat Sorge, von Leuten ausgenutzt zu werden, die ihm zu nahe kommen.»[ 3 ] 1959!
    Aus Schmidts Sicht zählte Brandt zu jener Generation, die gerade schon alt genug war, um zu erkennen, was mit Hitler auf Deutschland und Europa zuzukommen drohte. Andererseits rechnete er ihn bei dem kleinen Altersunterschied noch fast zur eigenen Generation, sodass er ohnehin kaum erwarten konnte, einmal Anspruch auf das Kanzleramt anmelden zu können – falls Brandt will, gebührt ihm der Vortritt, das wusste er und daran rüttelte er auch nicht. «Schmidt hatte ja Recht», räsoniert Horst Ehmke altersmilde, ihre Kriegsbeile haben sie beide längst begraben – «wenn Brandt nicht alles passiert wäre, was ihm passierte, wäre es ja auch durchaus möglich gewesen, dass Schmidt nicht Kanzler wird.»
    Blieb dieser Willy Brandt ihm ein Rätsel, das sich nicht recht entschlüsseln lässt? Helmut Schmidts Antwort auf meine Frage, nach einem Moment des Nachdenkens, lautet streng und ohne zu zögern: «Nein!» Aber Fragen hätte er an ihn. Was beispielsweise? Dass er sich zum Schluss auf die Seite der Friedensbewegung stellte, erwiderte Helmut Schmidt, obwohl er doch «kurz zuvor» noch ausdrücklich den Doppelbeschluss der Nato unterstützt habe. Bis heute kann oder will er nicht recht glauben, dass dieser Positionswechsel Brandts wirklicher innerer Überzeugung entsprach. Oder weshalb er in den späten 80er Jahren von der «Lebenslüge» Wiedervereinigung sprach, als hätte er die Einheit aufgegeben. Weshalb er Machtworte derart scheute. Und dann – «können Sie sich erklären, weshalb Brandt nicht in Auschwitz war?»
    Beide trauten sich erstaunlich früh das Regieren im Adenauer- und CDU-Staat zu, Brandt und Schmidt (auch Fritz Erler, der früh starb, müsste man noch hinzuzählen), sie ließen sich nicht den Schneid abkaufen, als sei ihre Partei auf ewig zur Opposition verdammt, und als beherrschten sie das
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