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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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Österreich abschirmte, die Mauer in Berlin fiel nur wenige Monate darauf.
    Willy Brandt träumte – und hier gilt ausnahmsweise das Wort – von etwas Neuem, das anknüpfte an seine Jugend. Wenn Europa eine zweite Chance erhielte, und sei es innerhalb der Bündnissysteme, dann dürfte es sie nicht verstreichen lassen. Seit 1939 bereits spielte für Brandt die künftige Gestalt Europas und die Frage, wie Deutschland dort aufgehoben sein werde, eine zentrale Rolle. Zum alten «Traum von Europas vereinigten Staaten» wollte er sich zwar nicht direkt bekennen, an einen europäischen Staatenverbund dachte er gleichwohl.[ 3 ]
    Der «Norweger» Brandt, 1944: «Es gilt, der in Deutschland aufwachsenden europäischen Jugend ein neues Ideal zu geben, für das sie arbeiten kann. Deutsche Europäer und Weltbürger haben in der Vergangenheit nicht viel Glück gehabt. Das ist kein Grund, ihre Arbeit nicht fortzuführen. Der Freiheitsfaden der deutschen Geschichte muss weitergesponnen werden. Die Nazis machten den Versuch, Europa auf ihre Art zu verdeutschen. Jetzt geht es darum, Deutschland zu europäisieren. Das geht nicht auf dem Wege der Zerstückelung und auch nicht dadurch, dass man die eine deutsche Gruppe gegen die andere ausspielt. Das Problem Deutschlands und Europas lässt sich nur lösen durch die Zusammenführung des Westens, des Ostens – und dessen, was in der Mitte liegt.»[ 4 ]
    Das war es, was er 1971 in Oslo in die Worte kleidete, ein guter Deutscher könne kein Nationalist sein. Sein Lebenslauf hatte ihn zum Europäer gemacht. In dem Moment, in dem er den Umbruch in Europa erahnte, kehrte das alles zurück. Im Jahr 1973 schon benutzte er diesen Begriff von der «Europäisierung Europas», den er in Budapest ausprobierte. Herauslösen wollte er Europa nicht aus der Allianz, aber es ging ihm um eine «Emanzipation des gesamten Kontinents von den beiden Supermächten und ihrer Rivalität».[ 5 ]
    Was Brandt in Ungarn oder in Polen beobachtete, die Tendenz zu mehr Eigenständigkeit innerhalb der Blöcke, interpretierte er Ende 1983 in einem Gespräch mit der ZEIT nicht als Ergebnis der Entspannungspolitik, sondern als ein «Produkt dieser Europäisierung Europas». Träumte er plötzlich von einem anderen Europa, einer unabhängigen Zone des Friedens und der Problemlosigkeit? Nein, die ernsten Belastungen zwischen den Weltmächten, die gerade zu Tage träten, erwiderte er, würden fast unkorrigierbar durchschlagen «auf das Verhältnis zwischen den Teilen Europas». Abkoppeln könne man sich nicht, trotz seiner Vorbehalte gegenüber der gegenwärtigen amerikanischen Politik. Brandt: «So lange die Welt so geteilt ist, wie sie ist, gehören wir hierher. Und wir müssen unseren Teil an europäischer Selbstgeltung innerhalb unseres Bündnisses, innerhalb unseres Teils der Welt entwickeln und durchsetzen.» Aber neu sei, dass auch im östlichen Teil nationale und teileuropäische Interessen geltend gemacht werden. Er vernarre sich nicht in Kennedys Idee von den zwei Säulen, dachte er laut weiter, obwohl er das ganz gut gefunden habe. Es gebe mittlerweile eine ganze Reihe Modelle dafür, wie Europa ein verlässlicher Partner bleiben könne, «und trotzdem in sich als europäische Komponente anders strukturiert sein könnte, als dies heute der Fall ist».
    Vage und suchend klang das, wie Brandt es liebte. Aber die Frage drängte sich dennoch auf, ob er sich auf dem Weg vom Transatlantiker zum Gaullisten befand. Brandt, amüsiert: Gaullist? Das Wort schrecke ihn nicht. Kurz nachdem General de Gaulle erstmals seine Auffassung von einem unabhängigen Europa veröffentlicht hatte, habe er, Brandt, in New York einen Vortrag über Europa gehalten, der in der Frage gipfelte: Why only him? Gegenüber amerikanischen Abgeordneten sprach Brandt sogar von seiner Überzeugung, der historische Trend gehe in die Richtung, «dass Europa wieder Europa wird». Die beiden Teile, Ost- und Westeuropa, «kommen näher zusammen mit mehr Unabhängigkeit gegenüber den Weltmächten».[ 6 ]
    Zwei Jahre nach diesem Gespräch, in dem er laut nachdachte über die «Europäisierung» und ein Europa nach den Wünschen de Gaulles, wurde überraschend Michail Gorbatschow an die Spitze in Moskau katapultiert und sprach bald vom gemeinsamen europäischen Haus, Willy Brandt war elektrisiert über die Wortwahl.
    Kurz vor dem Fall der Mauer, den auch er nicht vorausahnte, hielt Willy Brandt im Bundestag eine seiner letzten großen Reden, den Anlass bot
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