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Mein schwules Auge

Mein schwules Auge

Titel: Mein schwules Auge
Autoren: Rinaldo Hopf u.a.
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Wachehaltens am Bett, zumal die Hände, mit denen er Janines Brüste umklammert gehalten hatte, sowieso schon vor Wochen amputiert worden waren. Ungefähr ein halbes Jahr nach dem Fund im Wald sah ich mich mit dem scheinbar unlösbaren Problem konfrontiert, mich zwischen „oben“ und „unten“ entscheiden zu müssen. Ich glaube, sogar damals, ohne den Namen Freud je gehört zu haben, hätte ich mich nicht getraut, Robert zu entmannen, also meisterte ich diese salomonische Aufgabe, indem ich Roberts Haupt sauber vom Rumpf trennte und das Gesicht mit dem männlich wirkenden Schnurrbart und der zugegeben etwas albern wirkenden Zahnlücke eine Zeit lang in meiner Kinderbibel aufbewahrte, quasi als Lesezeichen zwischen den „Briefen an die Römer“ und dem „Ersten Karintherbrief“. Da ich immer nur die andere Bibel mitnahm, die mir meine Tante Ruth zum zehnten Geburtstag geschenkt hatte, wenn wir mittwochabends, sonntagvormittags und sonntagabends in die Kirche gingen, hielt ich das Risiko, dass Robert entdeckt würde, für ziemlich klein.
    So hielt ich schließlich einen etwa zwei Zentimeter großen Kreis in der Hand, in dem ich Roberts pralles, stolzes, männliches Glied bewunderte, bevor ich wieder zwischen Lattenrost und Bettgestell versteckte. Und genau das tat fast täglich, eingesperrt auf dem Klo, in den wenigen einsamen Minuten, die mir erkämpfen konnte, indem ich im Badezimmer einschloss. Es geschah ausgerechnet an diesem Ort, dass mir die Konsequenzen meines Handelns der letzten Monate schlagartig bewusst wurden. Bis dahin hatte ich das Einzelexemplar „Robert“ unerklärlicherweise nur aufregend gefunden, aufregender auf jeden Fall als die Unterwäsche-Models im „Sears &
    Roebuck“-Versandkatalog. Doch plötzlich schaffte mein Hirn den monumentalen Gedankensprung, dass das Empfinden, das der Anblick von Roberts Geheimnissen in mir auslöste, symptomatisch für etwas Größeres sein musste. Ab diesem Zeitpunkt der Erleuchtung veränderte sich natürlich mein ganzes Leben. Oder zumindest kam es mir so vor. Ein Jahr nach dem schicksalhaften Waldspaziergang im Oktober konnte ich nur noch Konturen von Roberts Überresten ausmachen; zu häufig hatte ich den Papierschnipsel in meiner Hosentasche zwischen Kinderzimmer und Klo transportiert.
    Doch kam es, wie es kommen musste. Eines Tages fand ich einen besseren Ersatz für Robert. Da ich der Einzige in der Familie war, der meine Mutter freiwillig auf ihrem halbjährigen Einkaufsbummel im etwa sechzig Meilen entfernten Rieseneinkaufszentrum begleiten wollte, freute ich mich plötzlich über eine halbe Stunde freie Zeit, während meine Mutter „Frauensachen“ im Warenhaus „Belk’s“ anprobierte. Also versprach ich ihr, in der Buchhandlung solange auf sie zu warten. Es war zwar eine nicht sonderlich gut sortierte Kettenfiliale – direkt neben den öffentlichen Toiletten. Doch für einen inzwischen 15-jährigen Jungschwulen eröffnete sich dort eine neue Welt. Eine Welt voller Männer, mit denen mein „Robert“ gar nicht mithalten konnte. Doch das ist eine völlig andere Geschichte.

Rinaldo Hopf STRAWBERRY HILL
    aus Mein Schwules Auge 5
    Paul war stark behaart und hatte einen Apfelhintern, soviel konnte ich ohne weiteres erkennen. Ich lernte ihn in Toby Klaymans Meisterklasse beim Aktzeichnen kennen, samstags im Fort Mason in San Francisco. Ich war gerade 20 und konnte kaum Englisch, hatte in Deutschland eine Freundin und war kurzerhand für ein halbes Jahr nach San Francisco gezogen. Dort suchte ich Hippiekommunen, Kunst, Pop und Erleuchtung. Ich lebte in einem indischen Ashram. Da ich wenig Geld hatte, konnte ich für monatlich 60 Dollar im Kindergarten im Souterrain wohnen. Nur Sonntagmittag musst ich meine Sachen zusammenräumen und verschwinden, wenn die Kinder zum Spielen kamen. Zum Studieren hatte ich mich am Institute of Asian Studies eingeschrieben, wo Allen Ginsberg lehrte, der seine Gedichte singend vortrug, dabei rhythmisch auf und absprang und von einem langhaarigen Jüngling auf der Gitarre begleitet wurde – seinem damaligen Lover, wie sich herausstellte. Der „Summer of Love“ lag zwar zehn Jahre zurück,
    Hippies und Drogen prägten das Bild der Stadt aber nach wie vor. Dazu kam das unfassbare Leuchten der Farben, das unterschiedliche Blau des Pazifiks und der Bay, die bunten viktorianischen Holzhäuser und jetzt im Frühjahr der intensive Duft der Mimosen und der silbrigen Eukalyptuswälder, das Beben der Erde – es war wie
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