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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition)
Autoren: Susann Julieva
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Dies über alles: sei dir selber treu,
    Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
    Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
     
    William Shakespeare
     
     
     
     
    Das Lachen im Schatten
     
    Der Umschlag war klein und grau-marmoriert, ein wenig zerdrückt und schlaff an den Kanten, als wäre er erschöpft von einer langen Reise. Es war kein Absender angegeben, doch er war höflich adressiert an „Herrn Prof. Dr. Maxim Meinig“. Schwerer als ein gewöhnlicher Brief, flüsterte er trotz seiner Unscheinbarkeit verlockend von einem Geheimnis, das er bergen mochte. Wenn man ihn drehte, rutschte in seinem Inneren träge ein flacher, länglicher Gegenstand hin und her. Der Brief raschelte, ungeduldig darauf drängend, geöffnet zu werden.
    Der Adressat war nicht, was der Professorentitel erwarten ließ. Es war kein langbärtiger, gesetzter Herr mit Krawatte und Nickelbrille. Maxim war Ende dreißig, die freundlichen braunen Augen von ersten, zarten Lachfältchen umhaucht, das angenehme Gesicht von dunklen Locken eingerahmt. Ein Schatten von Dreitagebart verlieh dem Jahre jünger wirkenden Antlitz etwas mehr Reife. Maxim war etwas kleiner als der Durchschnitt, was zusätzlich zu seinem jugendlichen Aussehen beitrug. Eine Missbildung im Mutterleib hatte seinen linken Fuß zu einem kurzen, seltsamen Klumpen geformt, der eines Spezialschuhs bedurfte und ihn leicht hinken ließ. Viele Jahre hatte er sich dessen schmerzlich geschämt.
    Verspätete Geburtstagspost, nahm er lächelnd an, als er sich den Brieföffner griff und den geheimnisvollen Umschlag mit einem zügigen Schnitt öffnete. Heraus fiel ein goldener Türschlüssel, gefolgt von einem aufgeregt zu Boden flatternden Blatt Papier. Für einen Moment stand Maxim still, stirnrunzelnd, bevor er langsam in die Hocke ging und mit behutsamen Fingern beide Gegenstände vom dunklen Teppich klaubte. Er betrachtete den Schlüssel nachdenklich. Glatt und kalt lag er in seiner Hand, seltsam vertraut. Der Schatten der Erinnerung durchfuhr ihn wie ein heißer Schauder. Er richtete sich unwillkürlich auf. Am Briefpapier war ein wundersam vertrauter Duft, der staubige Fetzen von Vergangenheit aus dunklen Ecken zerrte. Lavendel ... und das ausgelassene Klirren von Gläsern wie ein Echo in seinen Gedanken.
    In elegant geschwungener Handschrift waren nur wenige Sätze flink aufs Papier geworfen worden. Maxim las sie zweimal, dreimal und schließlich nochmals, während er sich abwesend hinter seinen Schreibtisch zwängte und auf den knarrenden Stuhl sank. Diese Worte – zu unglaublich, wie ein Schlag, noch unbewertet, ob erfreulich oder nicht. Der Brief war von seiner alten Freundin Dela. Und wie es schien, war er von diesem Moment an designierter neuer Besitzer des legendären Cafés der Nacht .
     
    * * *
     
    Die Nacht war schwarz und tief vor den großen Sprossenfenstern des geräumigen Wohnzimmers. Alte, wertvolle Möbel, Familienbesitz. Die fernen Lichter der Nachbarschaft blinkten zwischen den sich im starken Wind wiegenden Bäumen des die Villa umgebenden Parks hindurch. Maxim hatte das Feuer im Kamin ausgehen lassen, es roch nach kalter Asche. Ein Hauch von Einsamkeit schwebte über dem Raum, dem man ansah, dass er keine großen Partys und geselligen Zusammenkünfte kannte. Die meisten Sitzgelegenheiten waren von wackeligen Fachzeitschriften-Stapeln belegt. Als anerkannter Theaterkritiker musste Maxim auf dem Laufenden bleiben. Er saß in seinem abgewetzten Lieblingssessel, ein Glas Rotwein in der einen, Delas Brief in der anderen Hand, und fragte sich, was er nur von all dem halten sollte. Mittlerweile kannte er den Wortlaut des mysteriösen Schreibens fast auswendig.
     
     
    Liebster Maxim,
     
    es ist lange her, vielleicht zu lange, und es tut mir sehr leid, dass wir uns aus den Augen verloren haben. Ich habe dennoch oft an dich gedacht, so wie an euch alle. Einst waren wir wie eine Familie, und als ich damals fortging, habe ich im Stillen bereits den Entschluss gefasst, dir eines Tages diesen Brief zu schicken. Ich wusste immer, dass du der Richtige bist. Maxim, ich möchte, dass du das Café der Nacht bekommst. Du sollst sein neuer Eigentümer sein. Ich gebe es dir. Was du daraus machst, soll allein dir überlassen bleiben. Ich weiß, du wirst das Richtige tun. Du wirst bald erneut von mir hören.
    Bis dahin verbleibe ich in Liebe,
     
    Deine Dela
     
     
    Das Café der Nacht. Beim bloßen Gedanken daran stahl sich ein wehmütiges Lächeln auf Maxims Gesicht.
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