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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar
Autoren: Colin Dexter
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weit auseinanderstehenden dunklen Augen man, wenn man wollte, so etwas wie eine leise Verheißung lesen konnte, und die sanfte Stimme mit dem New England-Akzent hatte zuweilen einen ausgesprochen lockend-sinnlichen Klang.
    In jenen ersten Trimestern wußten viele Leute über die frühere Shelly Benson vieles zu sagen. Niemand aber konnte in Frage stellen, was Denis Cornford an ihr gefunden hatte, denn es war nur das, was jetzt auch alle anderen an ihr fanden, so daß es von Anfang an viele Männer nach Shelly Cornford gelüstete und ihr Mann heimlich beneidet wurde. Doch schienen die beiden miteinander vollkommen glücklich zu sein. Kein Hauch von Untreue auf ihrer, kein Grund zur Eifersucht auf seiner Seite.
    Noch nicht.
    Damals sah man sie oft Hand in Hand die kurze Strecke von ihrer Wohnung in der Holywell Street zum Kings Arms oder zur Turf Tavern gehen, in deren segensreich jukebox- und spielautomatenfreien Räumen Shelly sehr schnell den Geschmack von echtem Ale und das Ambiente eines echten englischen Pubs schätzenlernte.
    Hin und wieder unternahmen sie auch einen kleinen Ausflug durch Oxford oder in die nähere Umgebung. Kurz vor Weihnachten 1994 waren sie mit dem 2er Bus vom Cornmarket zu einem anderen King ’ s Arms in der Banbury Road gefahren. Cornford beobachtete, umgeben von ungeniert hochgestimmten jungen Nachtschwärmern, wie seine (ebenso junge) Frau mit halb geschlossenen Augen die Schultern sinnlich zu den dumpfen Rhythmen der Popmusik kreisen ließ, während die schwarz bestrumpften Schenkel sich hoben und senkten wie in einem mentalen Disco-Dance. In diesem Moment wurde ihm bewußt, daß er – gut und gern zwanzig Jahre älter als alle anderen Gäste – sich hier gewissermaßen in einem fremden Land befand, ausgeschlossen aus dem Zauberkreis der Nacht, und daß er mit der animalischen Lebenslust der Frau, die er geheiratet hatte, nie würde mithalten können.
    An jenem Abend hatte Cornford nichts gesagt.
    Auch ein Vierteljahr später hatte er nichts gesagt, als er bei der Trimester-Abschlußfeier gesehen hatte, wie Julian Storrs’ linke Hand sich kurz auf den rechten Schenkel seiner Frau legte, die reichlich dem Madeira zusprach, nachdem sie zum Abendessen schon reichlich dem Rotwein und bei dem vorangehenden Empfang ebenso reichlich dem Gin zugesprochen hatte … Ihr Stuhl stand dichter als nötig an dem seines Kollegen zu ihrer Rechten, und lachend rückten die beiden in einem geflüsterten Wortwechsel noch enger zusammen. Cornford versuchte, dem Vorfall keine besondere Bedeutung beizumessen. Dabei wußte er, daß er in diesem Moment eigentlich etwas hätte sagen müssen – eine leichtfüßige Bemerkung, wenn auch mit schwerem Herzen.
    Erst gegen Ende des Herbsttrimesters 1995 sagte Cornford etwas zu seiner Frau …
     
    Es war ein Dienstagmittag. Sie hatten in der Turf Tave rn gesessen, sie auf einer der Holzbänke, er gegenüber, und beide hatten ein Pint London Pride getrunken. Er verbreitete sich mit wachsender Begeisterung über seine neue Theorie, daß die vorliegenden Statistiken über die Zahl der 1348 vom Schwarzen Tod Dahingerafften sträflich mißdeutet worden und die angeblichen demographischen Auswirkungen dieser Seuche entschieden zweifelhaft waren. Obgleich es sich dabei doch fraglos um ein sehr reizvolles Thema handelte, schien Shelly nicht ganz bei der Sache zu sein, sondern ließ ihren Blick über seine linke Schulter hinweg immer wieder in eine Richtung gleiten, die sie offenbar weit mehr interessierte.
    Es war ihm demnach nicht gelungen, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Nun gut. Man kann nicht von allen Leuten – nicht einmal von einer Historikerin wie seiner Frau – verlangen, daß sie auf die Neubewertung abstruser mittelalterlicher Daten automatisch mit Entzücken reagieren.
    Er hatte nicht viel darauf gegeben.
    Und hatte sein Bier getrunken.
    Sie waren schon am Gehen, als ein Mann an ihren Tisch trat. Er mochte Anfang Dreißig sein – ein hochgewachsener, dunkler, schlanker Araber mit buschigem Schnurrbart. Er sah Shelly in die Augen und sagte leise:
    »Madame! Sie die schönste Dame, die ich sehe!«
    Dann wandte er sich mit einem »Bitte Entschuldigung, Sir!« an Cornford, nahm Shellys rechte Hand und drückte feierlich seine vollen Lippen auf ihr Handgelenk.
    Auf der kopfsteingepflasterten Gasse, die zur Holywell Street führte, blieb Cornford stehen und packte seine Frau so grob an den Schultern, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als ebenfalls
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