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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar
Autoren: Colin Dexter
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Ausscheiden bekanntzugeben. Sofern sich solche Opportunität nicht bietet, wird der Master ersucht, einen Zeitpunkt zu nennen, der in jedem Fall vor dem Ende der ersten Woche des zweiten vollen Trimesters nach der statuatorisch festgesetzten Terminierung (vide supra) liegen muß.
    (§ 2a der Gründungssatzung des Lonsdale College,
    Oxford, Übersetzung aus dem Lateinischen)
     
    Sir Clixby Bream würde bei seinem Ausscheiden als Master des Lonsdale College fast neunundsechzig Jahre alt sein. Der Ausschuß der Senior Fellows, dem auch zwei angesehene Lateiner angehörten, hatte vor dem Kauderwelsch der Gründungssatzung (vide supra) kapituliert, und da sich keine »Opportunität« (was immer darunter zu verstehen war) geboten hatte, ließ sich Sir Clixby dazu bewegen, zunächst noch kurze Zeit zu bleiben – und dann auch länger.
    Was ihm nicht weiter schwerfiel.
    Er stand nicht unter dem Druck, in die Nähe von Kindern oder Enkeln zu ziehen, denn seine Ehe mit Lady Muriel war sine prole geblieben. Auch die sonst üblichen quengelnden Bemerkungen seitens der besseren Hälfte, wie entzückend doch ein hübsches Strohdachhäuschen in Dorset oder Devon wäre, waren ihm erspart geblieben, denn Lady Muriel deckte nun schon seit drei Jahren der kühle Rasen.
    Einem Oxbridge-College vorzustehen durfte als Höhepunkt jeder akademischen Laufbahn gelten; und da drei der letzten vier Master binnen eineinhalb Jahren nach ihrer Ernennung in den Adelsstand erhoben worden waren, schien es ihm nur ganz natürlich, von einem mit solch angenehmen Vorzügen ausgestatteten Ehrenamt angezogen zu werden. Und es hatte ihn gereizt – wie es auch auf die verstorbene Lady Muriel eine (fast noch stärkere) Anziehungskraft ausgeübt hatte.
    Der amtierende Master, in früheren Jahren ein angesehener Mathematiker, hatte sich noch nirgends so wohl gefühlt wie in Oxford, wo er nun schon seit zehn Jahren wohnte. Die alte Stadt wuchs ihm immer mehr ans Herz, je länger er sie kannte. Natürlich stimmte ihn der Gedanke an sein bevorstehendes Ausscheiden ein wenig traurig. Das College und die Herausforderungen des Amtes würden ihm fehlen, und beim Anblick des Möbelwagens vor seiner von Wisterien berankten Dienstwohnung, der Master’s Lodge, würde ihm gewiß das Herz schwer werden. Doch gab es auch Aspekte, die geeignet waren, ihn über diesen Schritt hinwegzutrösten. Vor allem konnte er nun in aller Ruhe, einigermaßen distanziert und mit leicht spöttischem Lächeln die internen Streitereien verfolgen, die seine potentiellen Nachfolger zweifellos untereinander ausfechten würden.
    Der Findungskommission (deren Legalität seit langem durch erfreulicherweise leidlich verständliche Statuten der Collegesatzung festgeschrieben war) oblag es, die Bewerber um das Amt des Master auf drei Bedingungen besonders hinzuweisen. Der Kandidat mußte erstens »bei gesundem Verstand und in körperlich guter Verfassung« sein, durfte zweitens »nicht dem geistlichen Stand angehören« und drittens keine Vorstrafen »im Regierungsbereich Seiner (oder Ihrer) Glorreichsten Majestät« haben.
    Diese Bedingungen hatte der derzeitige Master schon oft belächelt.
    Die Langlebigkeit fast aller im zwanzigsten Jahrhundert ernannten Master legte den Gedanken nahe, daß sie sich besten körperlichen Wohlergehens erfreut hatten. Mental allerdings war sein unmittelbarer Vorgänger eher labil gewesen, und nach allem, was man hörte, sah es bei dessen Vorgänger damit nicht viel besser aus. Manchmal überlegte Sir Clixby, was das College wohl von ihm sagen würde, wenn er erst weg war … Der Grund für den Ausschluß der Geistlichkeit mochte darin zu suchen sein, daß die Gründer (wie dreihundert Jahre später Edward Gibbon) Päpste und Prälaten als die Quelle allen menschlichen Übels ausgemacht und sich der antiklerikalen Sache verschrieben hatten. Besonders aber belustigte Sir Clixby die Möglichkeit, der Kandidat könne strafbare Handlungen begangen haben. Verurteilungen wegen Mord, Vergewaltigung, Sodomie, Hochverrat oder ähnlicher Missetaten blieben offenbar unberücksichtigt, wenn sich herausstellte, daß sie außerhalb der Zuständigkeit Seiner (oder Ihrer) Glorreichsten Majestät begangen worden waren. Sehr sonderbar.
    Am sonderbarsten aber war es, daß in der ursprünglichen Satzung nirgendwo der Nachweis akademischer Bildung erwähnt war. Zumindest theoretisch konnte ein Bewerber mit Mittelschulabschluß und einer Vier in Medienkunde nicht von vornherein
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