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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier
Autoren: Klaus Wanninger
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1. Kapitel
    Endlich tauchte der Mann aus dem Nebel. Langsam nur, unendlich langsam, wie in Zeitlupe. Zuerst die Füße, dann die Waden, Sekunden später die Knie. Um die Oberschenkel waberte noch die undurchsichtige Nässe, zögernd nur lösten sie sich aus den grauen Schwaden. Die Hüften, der Leib, die Brust folgten, schließlich, mehrere Ewigkeiten später, der Hals, das Gesicht, die Stirn.
    Seit fast einer halben Stunde hatten sie auf diesen Moment gewartet, hatten ihn herbeigesehnt, erfleht, erbeten. Frierend, zitternd vor Kälte, mit immer klammeren, zuletzt kaum mehr beweglichen Fingern. Die Körper weit weg vom Wasser an die Wand gedrückt, ganz in den Schatten der Böschung tauchend, um vom anderen Ufer in den wenigen aufklarenden Minuten nicht gesehen zu werden, hatten sie gespannt in den grau verschleierten Himmel gestarrt.
    Es war vollkommen windstill an diesem frühen Morgen, kein Ast, der sich bewegte, kein Halm, der sich zur Seite bog, nicht einmal auf der Oberfläche des Flusses gab es Ansätze sanfter Wellen. Die dichten Nebelbänke rings um das breite Bett des Neckars hüllten alles und jeden in ihren schützenden Mantel, dämpften auch alle Geräusche, die selbst zu dieser frühmorgendlichen Stunde das Zentrum der Stadt durchpulsten. Drang dennoch ein überraschender Laut zu ihnen hin, fuhren sie erschrocken zusammen, starrten nach allen Seiten, versuchten, dessen Ursache zu ermitteln.
    Jetzt aber war der Mann zu erkennen. Sie spürten die Aufregung, wussten sich nahe am Ziel. Wie eine gewaltige Welle rauschte das Adrenalin durch ihre Körper. Endlich war es soweit. Lange genug hatten sie sich darauf vorbereitet, hatten Ideen geprüft, Pläne geschmiedet, Strategien entwickelt, hin und her überlegt. Es handelte sich um ein riskantes Unterfangen, dessen waren sie sich von Anfang an bewusst. Skrupel konnten sie sich in diesem Zusammenhang nicht leisten.
    Nein, immer Kurs halten – so wie sie es geplant hatten. Sich jetzt so kurz vor der endgültigen Tat noch Gedanken über ein Verlieren zu machen, wäre dämlich. Unverzeihbar dämlich. Gewissensbisse und Emotionen hatten jetzt keinen Platz mehr. Der Plan war genau ausgearbeitet, ihr Vorgehen bis ins letzte Detail überlegt. Endlich hatten sie eine Lösung für ihr Problem gefunden. Eine geniale Lösung. Den anderen würde keine Chance bleiben, nicht der Hauch einer Chance, dessen waren sie sich sicher. Sie konnten nichts mehr ausrichten gegen ihre akribisch geplanten Vorbereitungen. Sie würden die Gelegenheit, die sich ihnen jetzt endlich bot, beim Schopf packen und für klare Verhältnisse sorgen. Glasklare Verhältnisse.
    Dann konnte es also losgehen. Endlich. Die Zeit war reif.
    Er nahm das Gewehr hoch, entsicherte es, hielt den Lauf in die Höhe. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Zielfernrohr den Kopf des Mannes fixierte. Ein Nebelschleier raubte ihm für einen Augenblick die Sicht. Er starrte nach oben, fluchte leise. Plötzlich hatte er die schmale Stirn wieder vor Augen. Er überprüfte seine Haltung ein letztes Mal, konzentrierte sich auf sein Ziel. Dann war es soweit. Er krümmte den Finger, hörte das Auto, das unmittelbar über ihnen bremste. Zwei, drei Meter entfernt. Erschrocken hielt er inne, lauschte. Die Tür wurde geöffnet, Schritte kamen auf ihn zu. Entsetzt starrte er nach oben.

2. Kapitel
    Wenige Minuten vor sechs läutete das Telefon. Steffen Braig schreckte aus dem Schlaf, drehte sich stöhnend zur Seite. Er hörte das gleichmäßige Atmen seiner Freundin, tastete nach dem Apparat. Seine Finger griffen ins Leere; er richtete sich auf, bekam den Hörer mühsam zu fassen. Leise vor sich hin schimpfend hielt er ihn ans Ohr. Obwohl er jetzt seit fast fünfzehn Jahren als Kommissar für das Stuttgarter Landeskriminalamt tätig war, hatte er sich immer noch nicht an die jede Rücksicht auf ein geregeltes Privatleben missachtenden dienstlichen Zugriffe gewöhnt. Die Stimme des Kollegen ließ ihn endgültig aus seinem Halbschlaf erwachen.
    »Stöhr, guten Morgen. Entschuldigen Sie meine frühe Störung, aber ich muss Sie leider …«
    »Ja ja. Was ist passiert?« Er spürte schon bei den ersten Worten des Mannes einen Anflug von Ärger über dessen umständliche Formulierungen, verlangte eine konkrete Auskunft.
    »Wir haben eine unbekannte Leiche.«
    »Wo?«
    »In Heilbronn. Beim Götzenturm.«
    Er wunderte sich über die ungewohnt knappe und präzise Antwort, ließ sich den Fundort genauer erklären. »Götzenturm? Wo steht
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