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Lennox 02 - Lennox Rückkehr

Lennox 02 - Lennox Rückkehr

Titel: Lennox 02 - Lennox Rückkehr
Autoren: Craig Russell
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1.
    Manche Dinge sind dem Glasgower fremd. Salat. Zahnpflege. Versöhnlichkeit.
    Trotzdem hatte ich mir bis zum Abend des Mordes an Small Change MacFarlane keine richtige Vorstellung davon gemacht, wie nachtragend es in Glasgow zuging. Schon bald sollte ich in dieser Hinsicht zu einem Experten werden.
    Wir steckten mitten in einer Hitzewelle. Es war heiß und feucht. An dem Abend, an dem McFarlane ermordet wurde, hatte ich ein noch heißeres und feuchteres Rendezvous mit seiner Tochter Lorna. Wir waren in meinem Austin Atlantic auf die Gleniffer Braes oberhalb der Stadt gefahren und hatten an einer Stelle geparkt, an der ganz Glasgow unter uns ausgebreitet lag, dunkel und mürrisch im schwülen Dämmerlicht. Aber wenn ich ehrlich sein soll, auf die Aussicht achteten wir nicht besonders.
    Während ich mich also mit Lorna vergnügte, biss ihr Vater ins Gras. Im Rückblick erscheint es ironisch, dass fast genau zur selben Zeit in zwei Angehörige der Familie MacFarlane ein stumpfer Gegenstand eindrang, wobei Lorna mit Sicherheit die Glücklichere von beiden war.
    Lorna lag ein bisschen über dem Glasgower Durchschnitt: hübsch, rotblondes Haar, umwerfende Figur. Wie die meisten Ganoven, die den Aufstieg geschafft hatten, bemühte ihr Vater sich stets um einen Hauch von gesellschaftlichem Ansehen und hatte Lorna auf ein teures Edinburgher Internat geschickt, vermutlich in der Hoffnung, dass sie zu einer weltgewandten kleinen Dame wurde. Ich weiß zwar nicht, welche Sprachen man ihr auf dem Internat beigebracht hatte, aber auf der Rückbank meines Atlantic zeigte sich schnell, dass Lorna ein natürliches Talent für Französisch besaß.
    Wenn ich meine Beziehung zu Lorna beschreiben soll, wäre »seicht« wohl das treffendste Wort. Sicher, dieses Attribut passte zu fast allen meinen Beziehungen zum anderen Geschlecht, doch Lorna und ich stellten besonders geringe Ansprüche an den anderen. Lorna schlug die Zeit tot, bis sie sich den richtigen Mann zum Heiraten angeln konnte, und ich ... na ja, ich tat, was ich bei solchen Gelegenheiten immer tat. Wäre es nicht so gekommen, wie es in dieser Nacht kommen sollte, hätten wir uns wahrscheinlich früher oder später aus den Augen verloren, ohne dass unsere Trennung erwähnenswerten Schmerz bei einem von uns beiden hinterlassen hätte. In dieser Nacht auf den Gleniffer Braes ahnten wir jedenfalls nicht, was uns bevorstand.
    Mein Unwissen war besonders segensreich. Ich hatte noch keine Ahnung, dass in dieser Nacht eine Blutschuld eingefordert wurde, und ich wusste noch nicht, was ein Baro oder ein Bitchapen waren. Und wäre an diesem feuchten, heißen Sommerabend der Name John Largo gefallen, hätte ich an irgendeine Figur aus einem Wildwestfilm gedacht. In gewisser Weise hätte ich damit sogar richtig gelegen, nur dass es im Wilden Westen vermutlich nicht so wild zuging wie in Glasgow.
    Aber John Largo war kein Cowboy, sondern ein éminence gris, wie die Franzosen sagen. Eine graue Eminenz. Ein Mann im Hintergrund. In diesem Fall ein gefährlicher Schatten mit einem sehr langen Arm.
    Jedenfalls, nach unserem Rücksitztango fuhr ich Lorna nach Hause. Sie wohnte in Pollokshields. Glasgow hatte seine eigene gesellschaftliche Geografie, die jemandem von außerhalb nichts sagte, für die kleine Mittelschicht der Stadt jedoch von größter Bedeutung war. Im Grunde war Glasgow eine klassenlose Stadt, in der nur das Geld zählte. Der Glasgower Dialekt allerdings war über die gesellschaftlichen Schranken hinweg verbreitet; deshalb wurde das gesellschaftliche Ansehen von der Wohngegend bestimmt und damit auch von subtileren sozialen Indikatoren wie der Entfernung zu einem nicht verstopften Klo und der Frage, ob die Oma noch immer in einer Bretterbude hauste.
    Was sein Revier anging, hatte Small Change es im Laufe der Jahre gut getroffen, besser als fast jeder andere Buchmacher in Glasgow. Doch er hatte weder das nötige Geld noch das erforderliche Ansehen erlangt, um die South Side zu verlassen und auf die andere Seite des Clyde zu kommen. Und das war nun mal die Grundvoraussetzung zum Erklimmen der gesellschaftlichen Leiter in der Stadt. Das Haus der MacFarlanes stand südlich des Flusses. Es war groß und frei stehend, die typische fantasielose, schottisch-viktorianische Sandsteinvilla in einer Straße aus beinahe identischen fantasielosen, schottisch-viktorianischen Sandsteinvillen, die alle das presbyterianische Prinzip befolgten, den Wohlstand mit Anonymität abzuschwächen.
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