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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier
Autoren: Klaus Wanninger
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des Sonntags zu einem Kinobesuch mit anschließendem Essen zu überreden, doch ihre angespannte Körperhaltung während dieser Stunden zeigte deutlich, wie es in ihrem Inneren aussah. Erst spät am Montagabend waren sie nach Stuttgart zurückgekehrt.
    Er hörte die laute Ermahnung des Zugführers, das in Kürze erreichte Heilbronn als Endbahnhof zu verstehen, schrak aus seinen Gedanken. Wie es auch immer weitergehen mochte, Braig hoffte inständig, seiner Freundin würde es bald gelingen, sich von der seelischen Belastung der vergangenen Tage zu erholen.
    Er verließ den Zug, drängte sich durch die Menschenmenge, die auf dem Bahnsteig wartete, lief zur Unterführung. Der uniformierte Beamte war schon von Weitem zu sehen. Braig freute sich, dass er ihn trotz der schlechten Verbindung verstanden hatte, lief auf ihn zu, stellte sich vor.
    »Das Jahr fängt nicht gut an«, erklärte der Kollege. Er war groß, zeigte blonde, streng gescheitelte Haare, als er seine Mütze absetzte, wies sich als Hauptwachtmeister Harsch vom örtlichen Polizeirevier aus.
    Braig überlegte, was er damit andeuten wollte, wartete auf die Erklärung.
    »Gerade mal zwölf Tage im März und schon haben wir den zweiten Toten.«
    »Den zweiten? Wann gab es den ersten?«, fragte Braig.
    »Vorgestern. Ein zehn Jahre alter Junge. Beim Überqueren der Südstraße von einem PKW erfasst. Er war sofort tot.«
    »Und heute Nacht?«
    »Eine weibliche Leiche. Unterhalb vom Götzenturm.«
    »Eine Frau? Wie alt?«
    »Keine Ahnung. Ihre Identität wurde noch nicht ermittelt, soweit ich weiß.«
    Er führte Braig zum Dienstwagen, der wenige Meter vom Bahnhof entfernt geparkt war.
    »Der Fundort der Leiche wurde abgesperrt?«
    »Und ob! Wir haben alle Hände voll zu tun. Die Leute gaffen von allen Seiten.«
    Braig stieg in den Wagen, wartete, dass der Kollege das Fahrzeug startete. »Die Stelle, wo die Frau gefunden wurde, ist gut einzusehen?«
    Harsch ließ ein kurzes, sarkastisches Lachen hören, fuhr los. »Allerdings. Sie liegt direkt am Neckar. An den Treppen, die zum Ufer hinunterführen. Die Schaulustigen stehen auf der Brücke und am anderen Ufer. Zum Glück war es heute Morgen sehr dunstig.«
    Braig konnte nicht viel von der Umgebung erkennen, weil immer noch einzelne Nebelschwaden in der Luft hingen, merkte nur, dass der Mann das Auto auf der gegenüber liegenden Seite des Bahnhofs in eine stille Seitenstraße einfädelte, dann kurz nach rechts abbog und langsam einen kleinen Park umrundete.
    »Der Kaiser-Friedrich-Platz«, erklärte Harsch, fuhr noch wenige Meter weiter, stellte das Fahrzeug dann am Straßenrand ab. »Über die Brücke gehen wir zu Fuß; Sie werden gleich sehen, weshalb.«
    Braig schälte sich aus dem Wagen, sah die Menschenmenge vor sich. Männer, Frauen und Kinder neben- und hintereinander aufgereiht, alle in den Dunst starrend. Er sah, wie sich der uniformierte Kollege einen Weg mitten durch die Menge hindurch bahnte, schloss sich ihm an. Bäume und Büsche mit ersten Frühlingsblüten tauchten aus dem Nebel auf, blieben links und rechts hinter ihnen zurück. Braig kämpfte sich langsam vorwärts, stellte plötzlich fest, dass er mitten auf einer schmalen Brücke stand. Für einen Moment war die Nebelwand zerrissen, das breite, geradlinig verlaufende Bett des Neckars öffnete sich vor seinem Blick. Er blieb stehen, musterte die idyllisch anmutende Szenerie, den auf beiden Seiten von blühenden Bäumen eingefassten Fluss, die sanfte Strömung des Wassers mit einem am Ufer vertäuten, ruhig dümpelnden Passagierschiff, den hoch in den Himmel strebenden viereckigen Turm, unübersehbar ein Relikt der mittelalterlichen Stadtmauer. Er starrte in die Höhe, sah eine Skulptur an der nördlichen Spitze des Turms in atemberaubender Entfernung vom Boden weit in die Luft hinausragen: Ein lebensgroßer Mann auf einer langen Stange über dem Abgrund balancierend.
    Braig befand sich in einer traumhaft schönen Umgebung, spürte die Ellbogen an seiner Seite. Er schaute sich um, hörte eine weibliche Stimme, die um Entschuldigung bat, fand sich erneut von einer Nebelfahne verschlungen. Der idyllische Anblick war verschwunden. Wenige Meter weiter stand er plötzlich vor einem rotweißen Kunststoffband, das von mehreren uniformierten Beamten bewacht wurde. Ein Polizeiauto und ein dunkelgrauer Kombi parkten dahinter, von gleißend hellen Strahlern in grelles Licht getaucht. Braig stieg über das Band hinweg, erkannte Harsch, der auf ihn zu
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