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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier
Autoren: Klaus Wanninger
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der?«
    »Am Rand der Innenstadt direkt am Neckar. Nicht weit vom Bahnhof. Höchstens fünfhundert Meter. Die Kollegen holen Sie ab, wenn Sie ihnen die Ankunft Ihres Zuges mitteilen.«
    »Die Spurensicherung weiß Bescheid?«
    »Herr Rössle und Herr Rauleder sind verständigt, ja.«
    »Haben wir genauere Informationen über die Leiche?«
    Stöhr zögerte. »Tut mir Leid. Es war nur ein kurzes Fax. Identität unbekannt. Gegen fünf Uhr dreißig heute Morgen entdeckt.«
    »Von wem?«
    »Von zwei jungen Männern, die am Neckar joggten. Mehr steht nicht hier.«
    »Danke. Ich kümmere mich darum.« Braig legte den Hörer zurück. Eine unbekannte Leiche. Keine genaueren Informationen, nichts über den Zustand ihres Körpers. Was würde ihn erwarten? Ein alter, von einer Bande jugendlicher Drogensüchtiger ausgeraubter Mann? Ein junges, von einem eifersüchtigen Verehrer im Affekt übel zugerichtetes Mädchen? Eine unbescholtene, treu sorgende Familienmutter, die aus irgendeinem Grund noch spät in der Nacht unterwegs und dabei ihrem Mörder in die Hände gefallen war?
    Er seufzte leise, riss sich aus seinen halbgaren Spekulationen, schälte sich vollends aus dem Bett. Was immer ihn erwartete, der Tag hatte keinen guten Anfang genommen. Gleichgültig, was in Heilbronn geschehen war. Braig hätte sich ein freundlicheres guten Morgen gewünscht. Er sah, wie sich Ann-Katrin zur Seite drehte, schlich sich auf Zehenspitzen zur Tür.
    »Du musst weg?«, flüsterte sie im Halbschlaf.
    »Nach Heilbronn«, antwortete er, »schlaf weiter, ich melde mich.« Er ärgerte sich, dass sie wach geworden war, hoffte, sie würde schnell wieder einschlafen. Sie hatte einen freien Tag, benötigte ihn dringend nach den Strapazen des Wochenendes.
    Er suchte seine Kleidungsstücke zusammen, duschte, zog sich an. Robuste Thermojeans, ein dunkelblaues Baumwollhemd, dazu einen samtroten Pullover, um gegen die feuchte Märzkälte gewappnet zu sein. Er aß zwei Brote mit Käse und trank eine Tasse Kaffee. Als er die dicke Jacke übergezogen hatte und vorsichtig einen Blick ins Schlafzimmer warf, sah er, dass Ann-Katrin wieder eingeschlafen war. Er steckte sein Handy in die Tasche, spurtete aus dem Haus, nahm die nächste S-Bahn zum Hauptbahnhof, wechselte dort in den Zug nach Heilbronn.
    Nebel versperrte die Sicht beidseits der Schienen, die Lichtkegel der Straßenlampen waren nur schemenhaft auszumachen. Braig gab die Nummer der Heilbronner Kollegen in sein Handy ein, teilte den Termin seiner Ankunft mit. Die Stimme war nur schwer zu verstehen, es knackte und rauschte, als befände sich sein Gesprächspartner am anderen Ende der Welt. Er wusste nicht, ob der Mann seine Mitteilung richtig verstanden hatte, wiederholte die Ankunftszeit mehrmals, um ganz sicherzugehen. Der Kollege äußerte irgendwelche vollkommen unverständlichen Worte, war dann endgültig aus der Leitung verschwunden. Braig steckte das Handy weg, starrte nach draußen, sah die Menschenansammlungen auf den Bahnsteigen der Gegenrichtung. Die Hauptmasse des Verkehrs spielte sich zu dieser frühen Stunde stadteinwärts ab. Er dachte an die nervenaufreibenden Tage in Tübingen zurück, überlegte, wie er Ann-Katrin helfen könne, alles seelisch zu verarbeiten, ohne dass sie allzu lange an ihren Folgen leiden musste. Dass die Zeit in der Universitätsstadt bei ihr nicht ohne Folgen bleiben würde, hatte er in der Nacht mehrfach bemerkt: Drei- oder viermal war er aus dem Schlaf geschreckt, weil sie lauthals stöhnte. Er hatte sich zur Seite gedreht, vorsichtig ihre Stirn und ihre Wangen berührt, damit sie sich beruhigte, war dann nur halbwegs wieder ins Reich der Träume abgetaucht.
    Mehrere Monate war es her, seit Ann-Katrins Mutter an einem jener fast unerträglich heißen Frühlingstage des vergangenen Jahres einen Herzstillstand erlitten hatte, der sie trotz aller Bemühungen der Ärzte in einen Zustand weithin unbeteiligten Dahindämmerns gestürzt hatte. Stunden, ja halbe Tage hatten sie gemeinsam mit Ann-Katrins Schwester Theresa am Bett der Mutter verbracht, auf jede noch so bescheidene Reaktion wartend, die endlich die Rückkunft der geistig Entschlummerten anzukündigen schien, vergeblich, denn außer einem ruckartigen Hin- und Herwerfen des Kopfes, sobald sie eine vertraute Stimme hörte, hatte sie keine Zeichen einer Verbesserung ihrer Situation erkennen lassen.
    »So sehr ich es uns allen wünsche, dass Ihre Mutter wieder zu uns findet«, hatte Dr. Johannes Kammerer, der
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