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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar
Autoren: Colin Dexter
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abgelehnt werden. Auch war es nicht Bedingung, daß der erfolgreiche Bewerber dem College angehörte, und mehrfach hatte man »Außenseiter« berufen. Er selbst, Sir Clixby, war aus »der anderen Universität« nach Oxford importiert worden, was er vor allem seinem Ruf als einfallsreicher Geldbeschaffer verdankte.
    Diesmal aber sah es so aus, als hätten Außenseiter keine Chance. Das College hatte mindestens zwei Bewerber zu bieten, mit denen nach einhelliger Meinung das Amt hervorragend besetzt wäre. Im Versammlungsraum der Senior Fellows tendierte man stark zu dieser »internen« Lösung, und das Wettfieber stieg entsprechend.
    Merkwürdigerweise waren die beiden Favoriten noch nicht eines Eintrags im Who ’ s Who für würdig befunden worden, und man darf daraus wohl mit einiger Berechtigung den Schluß ziehen, daß besagtes Werk sich mehr für die Vettern dritten Grades zweitrangiger Aristokraten interessiert als für angesehene Akademiker. Immerhin aber fanden sich beide in Debretts People of Today 1995.
     
    STORRS , Julian Charles, geb. 9. Juli 1935; Ausb. Christ’s Hosp., Emmanuel Coll. Cambridge (BA, MA); Ehe m. Angela Miriam Martin 31. März 1974; Berufl. Laufb. Captain RA (Indian Army Reserve); Lektor für Sozialanthropologie Pitt Rivers, Senior Fellow Lonsdale Coll. Oxford; Hobbys: Taxifahren, Bridge.
     
    CORNFORD , Denis, geb. 23. April 1942; Ausb. Wyggeston GS Leicester, Magdalen Coll. Oxford (MA, DPhil); Ehe m. Shelly Ann Benson 28. Mai 1994; Berufl. Laufb. Lektor für Mittelalterl. Geschichte u. Fellow Lonsdale Coll. Oxford; Hobbys: Drachenfliegen, Orchideenzucht.
     
    Beide Einträge erscheinen auf den ersten Blick relativ nichtssagend. Vielleicht regen sie aber den aufmerksamen Leser dazu an, die eine oder andere reizvolle Überlegung anzustellen.
    War zum Beispiel der Senior Fellow von Lonsdale so gut betucht, daß er es sich leisten konnte, als Transportmittel ausschließlich das Taxi zu wählen? Nahm er nie das Auto, den Bus, die Bahn? Doch, zu bestimmten Anlässen fuhr er sehr wohl mit der Bahn.
    Wie wir noch sehen werden.
    Und warum hatte sich der bald vierundfünfzigjährige Dr. Cornford vor so kurzer Zeit von den Vorzügen einer späten Ehe überzeugen lassen? Hatte er eine ehrenwerte Frau entsprechenden Alters gefunden?
    Mitnichten.
    Wie wir noch sehen werden.
     

3
     
    Wie recht
    Hätte ich daran getan, mich fernzuhalten und
    Zu lassen dir die harmlos-schuldig-unschuldige Nacht
    Des Partnertauschs in deiner eignen tristen Runde:
    Wie sinnlos, noch einmal
    Der peinigenden Atemlosigkeit der Jugend
    Raum zu geben in meinem Sein.
    (Philip Larkin, The Dance)
     
    Denis Cornford war omnium consensu ein hervorragender Historiker. Neben einem scharfen, rücksichtslos ehrlichen Verstand besaß er eine besondere Begabung, Fakten zusammenzutragen und zu interpretieren, um die er von allen Historikern an der Universität Oxford beneidet wurde. Am bekanntesten aber hatte ihn eine kleine Monographie über die Schlacht von Hastings gemacht, in der er die These aufgestellt hatte, die folgenschwere Auseinandersetzung zwischen Harold von England und Wilhelm dem Normannen habe ein Jahr früher als allgemein angenommen, nämlich bereits 1065, stattgefunden.
    Im Frühjahr 1994 hatte Cornford, ein mittelgroßer, schlanker Mann mit angenehmen Zügen, ein Sabbatsemester in Harvard verbracht. Und dort hatte sich – irgendwo und irgendwie in Cambridge, Massachusetts – etwas ganz Erstaunliches ereignet. Denn ein halbes Jahr später war der eingefleischte Junggeselle zur Verblüffung und Belustigung seiner Kollegen mit einer jungen Dame zurückgekehrt, die bereit gewesen war, sich in Zukunft nicht mehr Shelly Benson, sondern Shelly Cornford zu nennen. Es war dies eine Harvard-Absolventin, die gerade ihren Magister in Amerikanischer Geschichte gemacht hatte und sechsundzwanzig Jahre alt war – genau halb so alt wie ihr neuer Mann (bei ihr war es die zweite Ehe).
    Möglich, daß Shelly in einer Miss Massachusetts-Schönheitskonkurrenz kaum das Semifinale erreicht hätte: Ihr Kinn war etwas zu kantig, die Schultern etwas zu breit, die Beine vielleicht eine Spur zu kräftig. Dessenungeachtet zeigte sich, als sie dann im Herbsttrimester 1994 ziemlich regelmäßig zu den Andachten, Gastabenden und anderen gesellschaftlichen Anlässen erschien, daß zahlreiche Lehrkräfte und Studenten am Lonsdale College sich stark zu ihr hingezogen fühlten. Das wellige, schulterlange braune Haar umrahmte ein Gesicht, in dessen
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