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Der Tod ist mein Nachbar

Der Tod ist mein Nachbar

Titel: Der Tod ist mein Nachbar
Autoren: Colin Dexter
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für den Tag.«
    Durch den Zigarettenrauch hindurch betrachtete sie ihn aus verengten Augen.
    »Fünfundsechzig?«
    »Sechzig.«
    »Okay.«
    Er zählte sechs schöne neue Zehnpfundnoten ab, während sie ihm das Anmeldebuch hinschob und nach dem Schlüssel für Zimmer 10 griff.
    Es war eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung.
     
    Ihr Glas war leer, und er trank sein Bier in einem Zug aus, ohne sich zu setzen.
    »Noch mal dasselbe?«
    »Bitte.« Sie schob ihm den Cognacschwenker mit den halb geschmolzenen Eiswürfeln hin.
    Angenehm entspannt sah sie sich in der spärlich gefüllten Bar um und spürte (wieder!) den Blick des Mannes in mittleren Jahren, der sie von der anderen Seite des Raums aus beobachtete. Sie reagierte nicht, sondern sah zu dem Mann mit dem sich lichtenden grauweißen Haar hin, der an der Theke lehnte und auf die Getränke wartete.
     
    Dann saß er wieder neben ihr und stieß mit ihr an. Auch er fühlte sich angenehm entspannt.
    »Es ist schon eine Weile her, seit wir hier waren«, meinte er.
    »Ein paar Monate?«
    »Zehn Wochen, um genau zu sein.«
    »Und das wollen wir ja …«
    Lächelnd trank sie ihren zweiten großen Brandy und fühlte sich immer besser.
    »Appetit?« fragte er.
    »Worauf?«
    Er lächelte. »Auf eine Stunde im Bett vielleicht – und dann auf eine Kleinigkeit zu essen.«
    »Und einen Schluck Wein?«
    »Wenn ich dich damit bestechen kann …«
    »Ja, also … wenn du dich zuerst ein bißchen hinlegen möchtest *..«
    »Das möchte ich eigentlich sehr gern …«
    »Aber nur unter einer Bedingung.«
    »Die wäre?«
    »Daß du mir das sagst, was du mir im Zug sagen wolltest.«
    Er nickte ernst. »Ich erzähle es dir beim Wein.«
    Es war eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung.
    Storrs ging voran, um ihr die Schwingtür aufzuhalten, und Rachel James, freiberufliche Physiotherapeutin mit Praxis in North Oxford, spürte wieder den Blick des Mannes auf sich. Fast automatisch lehnte sie den Oberkörper zurück, so daß sich die glatte weiße Seide der Bluse über den Brüsten spannte, und griff mit beiden Händen nach hinten, um das Band fester zu ziehen, mit dem sie die hellbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengefaßt hatte.
    Einem 25 Zentimeter langen Pferdeschwanz.

5
     
    Dann wandten die lächelnden Nutten ihre Aufmerksamkeit unseren schockierten Reportern zu.
    »Nur nicht schüchtern! Ihr habt euer Geld hingeblättert, um euch einen schönen Tag zu machen, und den sollt ihr haben.«
    Unsere Leute redeten sich mit Jet-Lag heraus und verzichteten dankend.
    (Auszug aus News of the World, 5. Februar 1995)
     
    Geoffrey Owens kannte sich in Soho bestens aus.
    Mit neunzehn war er nach London gekommen, um dort seine erste Stelle als Reporter anzutreten, und hatte sich nur ein paar Schritte vom Soho Square entfernt einquartiert. In den ersten Monaten war er dort viel spazierengegangen, immer wieder fasziniert von den seltsam erregenden Straßennamen: Brewer Street, Greek Street, Old Compton Street, Wardour Street – eine Litanei der käuflichen Liebe.
    Damals, Mitte der siebziger Jahre, waren die Striptease-Lokale, die Pornokinos, die Oben-ohne-Bars noch richtig schön sündig im besten (oder schlechtesten?) Sinne dieses Wortes gewesen. Heutzutage hatte sich Soho in dieser Hinsicht zum Besseren (oder Schlechteren?) gewandelt: Was jetzt dort ablief, war wesentlich verheuchelter, verschmockter und verlogener in der Ausbeutung einsamer, ungeliebter Männer, die durch die Straßen irrten und hin und wieder abrupt stehenblieben wie Kaninchen im Scheinwerferlicht.
    Owens allerdings wirkte keineswegs hypnotisiert, als er am frühen Abend des 7. Februar vor Le Club Sexy stehenblieb. Der Name dieses Etablissements sollte wohl das gewisse Etwas gallischer Erotik vermitteln, legte allerdings den Verdacht nahe, daß der Besitzer die französische Sprache nur recht unvollkommen beherrschte.
    »Wie wär’s mit ein bißchen Spaß, Süßer?«
    Die Brünette mit den dick getuschten Wimpern, die unter den blinkenden Glühbirnen stand, mochte Anfang Zwanzig sein – eine ziemlich große junge Frau mit roten Stöckelschuhen, einem aufs knappste geschnittenen schwarzen Minirock und einer engen Paillettenbluse mit tiefem Ausschnitt, der großzügige Ausblicke auf den üppigen Busen gewährte.
    Déjà vu.
    Owens, der unverbesserliche Voyeur, wurde sich vorübergehend aller alten Schwächen bewußt.
    »Komm rein, Süßer, hier gibt’s ’ne Menge Spaß!«
    Sie machte einen Schritt
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