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Kaisertag (German Edition)

Kaisertag (German Edition)

Titel: Kaisertag (German Edition)
Autoren: Oliver Henkel
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Vossische Zeitung, 30. Juni 1914
     
    Rückkehr des österreichischen Thronfolgers aus Bosnien.
    Am gestrigen Nachmittage trafen S. K. H. Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin auf dem Wiener Südbahnhof ein, wo sie von einer überwältigenden Zahl von Menschen erwartet wurden. Die tags zuvor eingegangene Meldung, daß die Kaiserlichen Hoheiten während ihres Aufenthaltes in Sarajewo zum Ziele zweier Anschläge auf ihr Leben geworden waren, hatte die Bevölkerung Wiens in große Besorgnis versetzt, so daß die Bewohner der Hauptstadt anläßlich der Rückkehr des Thronfolgerpaares zahlreich zusammengeströmt waren, um ihrer Erleichterung und Freude über den glücklichen Ausgang der Vorkommnisse Ausdruck zu verleihen.
    Seine Kaiserliche Hoheit äußerte sich gegenüber den gleichfalls in großer Zahl am Bahnhof anwesenden Journalisten nur knapp bezüglich der Anschläge und beschränkte sich auf die Feststellung, das Überleben seiner Gemahlin und seiner eigenen Person sei alleine der Gnade des Allmächtigen zu verdanken.
    Ferner betonte er, die Geschehnisse jenes Tages hätten ihn in seiner Absicht bestärkt, zu gegebener Zeit die Balkanprovinzen Bosnien und Herzegowina in einen autonomen Staat innerhalb Österreich-Ungarns umzuwandeln, um der fraglichen Region zu der Stabilität zu verhelfen, derer sie bislang entbehre. Der Erzherzog sprach zudem auf das Nachdrücklichste von der dringenden Notwendigkeit, in naher Zukunft die Slawen neben Deutsch-Österreichern und Ungarn zur dritten Säule des Habsburgischen Kaiserreiches zu erheben und den slawischen Untertanen dieselben Rechte und Privilegien zu geben, die ihnen durch die augenblickliche Ordnung des Staates noch verwehrt blieben. Nachdem S. K. H. seine Ansichten formuliert hatte, fuhren er und seine Gemahlin begleitet von den Jubelrufen der nach Tausenden zählenden Menge im Automobil zur Hofburg, um S. M. dem Kaiser von ihrem Aufenthalt in Bosnien zu berichten.
    Derweil hat Major Ronge vom k. u. k. Militär-Geheimdienst bekanntgegeben, man habe die Attentäter als einem serbischen Geheimbund, gefördert durch das Königreich Serbien, zugehörig identifizieren können. Da aber dem Thronfolgerpaar kein Schaden an Leib und Leben entstanden sei, wolle man auf militärische Vergeltung gegen Serbien verzichten, obgleich Österreich jedes Recht zu Strafaktionen habe. Dieser Entschluß wurde in Paris, Berlin, London und St. Petersburg beifällig begrüßt, allgemein lobte man Österreichs maßvolle Haltung. Die russische Regierung kündigte unterdessen an, jegliche Unterstützung für Serbien und panslawistische Vereinigungen auf dem Balkan mit sofortiger Wirkung einzustellen. Aus Kreisen, die S. M. Zar Nikolaus nahestehen, hörte man, der Zar sei höchst ungehalten über die Tatsache, daß Attentäter es im Namen einer von Rußland geförderten Sache wagten, Hand an Angehörige des ältesten herrschenden Hauses Europas zu legen.
    Im Verlaufe des heutigen Tages werden Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Wien wieder verlassen und sich nach Tirol begeben, um sich dort von den unermeßlichen Aufregungen ihrer Reise zu erholen.
        
     
     

Mittwoch, 18. Mai 1988
     
    Friedrich Prieß lehnte sich in seinem knarrenden Bürosessel zurück und betrachtete zufrieden den Papierstreifen in seinen Händen. Es handelte sich um einen Barscheck über 2500 Goldmark, ausgestellt auf seinen Namen und einlösbar bei jeder Filiale der Hamburgischen Commerzbank und Depositen-Casse.
    Manchmal gibt es also selbst im Leben eines Privatdetektivs angenehme Momente , dachte er, wobei ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erschien. Der erfreulichste Aspekt dieses unerwarteten warmen Geldregens war für Prieß jedoch die Tatsache, dass er sich diese stattliche Summe auf eine Art und Weise verdient hatte, für die er sich nicht einmal zu schämen brauchte. Das war nicht selbstverständlich in einer Branche, in der es vor allem darum ging, heimlich Fotos zu machen, die vor dem Scheidungsgericht als eindeutiger Beweis ehelicher Untreue dienen konnten. Im Endeffekt führten solche Fotografien im Normalfall dazu, dass ein Mensch nicht nur schuldig geschieden, sondern obendrein auch noch gesellschaftlich ruiniert wurde. Es war ein unschönes Gewerbe, in dem man es nur über längere Zeit aushielt, wenn man beizeiten lernte, seine Skrupel zu unterdrücken. Aber nicht einmal diejenigen unter den Privatdetektiven, die sich mit den Jahren einen undurchdringlichen Panzer des
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