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Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
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jaulend empor, aber er war noch zu klein, um das Fensterbrett zu erreichen, und außerdem lag der Küchenboden tiefer als der Hof. Ich näherte mich mit einem Knüppel.
    »Gib acht, Dandili, daß du kein Splitterli ins Schnauzili kriegst!« sagte ich ein wenig eifersüchtig auf Hansis plötzlichen Entschluß, Dandys wegen die Fensterscheibe einzuschlagen, und klopfte gegen das Glas. Beim zweiten Schlag krachte es, und die Scherben regneten nach innen. Ich brach ein paar stehengebliebene Splitter vorsichtig aus dem Kitt, langte hindurch und öffnete das Fenster. Hansi stieg ein, und ich folgte ihr nach. Der Hund gebärdete sich wie toll. Er konnte sich gar nicht beruhigen. Er sprang an Hansi empor, versuchte, ihr das Gesicht abzulecken, und jammerte ihr die Ohren voll, wie schlimm es ihm in ihrer Abwesenheit ergangen war. Sie hatten ihm kaum etwas zu fressen und zu trinken gegeben, und der böse Alexander hatte ihn verdroschen, wenn er irgendwo eine lächerliche kleine Pfütze hinterlassen hatte, und es war überhaupt das jämmerlichste Hundeleben von der Welt, das er geführt hatte.
    »Jaja, ich weiß ja alles, mein Süßer!« flüsterte Hansi ihm ins Ohr und drückte ihn zärtlich ans Herz, während ich seinen Freßnapf mit Wasser füllte, über das er gierig herfiel. Er soff, als ob er seit Stunden nichts zu trinken bekommen hätte. Wir verließen die Küche und gingen ins Haus. Die Zimmer waren abgeschlossen, aber die Schlüssel staken in den Schlössern. Sofies Kammer war ebenso sauber aufgeräumt wie die übrigen Zimmer. Niemals war mir der museale Charakter des Hauses so deutlich zu Bewußtsein gekommen wie bei diesem Rundgang, bei dem Dandy auf weichen Pfoten hinter uns hertrottete. Das alte Haus mit seinen dicken, wehrhaften Mauern und tief eingeschnittenen Fenstern, auf deren Bänken Töpfe mit Reseden, braungefleckten Pantoffelblumen, samtenem Goldlack und roten Pelargonien blühten — die alten Möbel mit ihrem Mahagoniglanz und den köstlichen Intarsien, die nachgedunkelten Bilder in ihren reichen Rahmen, die blitzenden Vitrinen, überquellend vor Kostbarkeiten — man hätte sich nicht gewundert, einer Dame in der schweren Brokatrobe des Barock oder einem Kavalier des sechzehnten Jahrhunderts in zobelverbrämtem Wams zu begegnen.
    »Ein wenig unheimlich«, flüsterte Hansi neben mir. Und dabei war es die Welt, in der sie aufgewachsen war. Auf mich wirkte es um so stärker. Ein Hauch der Verwunschenheit lag über dem Haus. Es machte den Eindruck, als sei es vor Jahrhunderten von seinen Bewohnern einer geheimnisvollen Katastrophe wegen verlassen worden, aufgeräumt und in tadelloser Ordnung zurückgelassen wie jene Segelschiffe auf den Ozeanen, deren Rätsel nie gelöst worden ist. Nur in Alexanders Zimmer entdeckten wir Spuren eines plötzlichen Aufbruchs. Das Bett war ungemacht liegengeblieben, und sein Schlafanzug lag verknautscht über einem rotgoldenen Prunksessel. Hansi öffnete das Fenster und beugte sich lauschend hinaus. Und auch ich hörte das unverkennbare Geräusch des Zweitaktmotors.
    »Hörst du den Wagen, Paul? Sie kommen zurück.«
    Wir liefen hinunter und fanden auf einem Haken am Rahmen der Haustür einen Reserveschlüssel.
    »Laß ihr ein wenig Zeit«, bat Hansi, ehe der Wagen in den Hof einfuhr.
    »Ich bin nicht so mutig, wie du glaubst«, murmelte ich und trocknete mir den Schweiß von Stirn und Nacken. Der Wagen näherte sich dem Haus und schwenkte in den Hof ein — und am Steuer saß Alexander allein. Hansi griff nach meiner Hand und mit der anderen an ihre Kehle, als Alex uns entgegenkam.
    »Mein Gott!« stammelte sie. »Wie Alex aussieht! Da ist doch irgend etwas Schlimmes geschehen...«
    Er ließ die Arme hängen und setzte die Füße wie ein alter Mann, der die Last der Jahre nur noch mit Mühe trägt.
    »Ah, Onkel Paul«, sagte er und nickte mir zu, als täten ihm die Halsmuskeln weh. »Ich dachte schon, daß ihr beide nach Pertach unterwegs seid, als sich bei dir niemand am Telefon meldete.«
    »So rede doch endlich!« schrie Hansi. »Hier ist doch etwas geschehen! Man sieht es dir doch an!«
    »Ja«, sagte er und schluckte, »ich habe Sofie beim Staatsanwalt in Altenbruck abgeliefert. Sie hat Manueli erschossen. Versteht ihr das? Sofie hat Manueli ermordet! Sofie...«
    Ich nahm ihn beim Arm, führte ihn in den Schatten und drückte ihn auf die rohgefügte Bank, die unter dem geschnitzten Bildnis des heiligen Georg stand.
    »Wir wußten es bereits, mein Junge.«
    »Was wißt
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