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Königsallee

Königsallee

Titel: Königsallee
Autoren: Horst Eckert
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Prolog
    Jewgeni lehnte am Geländewagen, den er vor dem Restaurant Kumatschok abgestellt hatte, und quetschte den roten Gummiball im Sekundentakt, die stechenden Schmerzen in seiner Hand ignorierend. Ihm gefiel nicht, was sich auf der anderen Straßenseite abspielte.
    Etwa zwanzig junge Leute hatten sich dort vor dem Büro der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa versammelt, der einzigen ausländischen Institution in diesem Land. Ein Bursche stellte eine Leiter an das Haus, kletterte auf das Dach, riss die Fahne mit dem OSZE-Logo von der Stange und hisste stattdessen einen gelben Lappen mit dem Konterfei Che Guevaras und schwarzem Schriftzug: Proriv.
    Die Demonstranten jubelten und skandierten: »Woronin ist ein Räuber! Für ein unabhängiges Transnistrien!«
    Jewgeni tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Nachmittagshitze hatte er seinen schwarzen Zweireiher anbehalten, der seine Schultern noch breiter wirken und die Waffe im Holster nicht ahnen ließ. Proriv hieß Durchbruch – Jewgeni hatte keine Ahnung, was diese Leute bezweckten.
    Niemand ließ sich blicken, weder OSZE-Mitarbeiter noch Polizisten. Dabei wurden in diesem Land politische Meinungsäußerungen sonst nur geduldet, wenn sie vom Präsidenten stammten.
    Ein junges Ding, das zu den Demonstranten gehörte, klemmte Flugblätter unter die Scheibenwischer der Autos am Straßenrand, ein paar rostige Ladas und Dacias aus alten Zeiten und teure, schwarze Limousinen mit getönten Scheiben. Vor Jewgenis bulligem Porsche blieb das Mädchen staunend stehen. Er nahm ihm einen Zettel ab.
    Schluss mit der Blockade! Schluss mit der imperialistischen Umklammerung!
    Auch wenn das Jungvolk auf der offiziellen Linie lag, bewertete Jewgeni die Aktion als Zeichen des Verfalls.
    Er fächelte sich mit dem Flugblatt Frischluft zu und blickte der Kleinen hinterher. Diese Beine, dieser Arsch. Knappste Shorts und nur ein dünnes Trägerhemdchen. Man konnte über Tiraspol lästern, aber Jewgeni mochte die Stadt. Jammerschade, dass seine Tage hier gezählt waren.
    Vitali Karpow, Finanzdirektor des Magnum-Konzerns, trat aus dem Restaurant. Eine Kellnerin in Kosakentracht hielt dem kleinen, untersetzten Mittfünfziger die Tür auf und knickste. Alexandru, der Wirt, humpelte Karpow hinterher und verbeugte sich mehrfach. Das Transparent, das Alexandru an die Fassade seines Hauses gehängt hatte, war neu: Ganzer Stolz des Volkes – die transnistrische Moldaurepublik!
    Jewgeni erinnerte sich daran, dass Alexandru noch vor Kurzem gegen die Schließung rumänischsprachiger Schulen gestänkert hatte. Doch seit eine Benzinbombe ins Kumatschok geflogen war und Präsident Turin als einziger Kandidat auch die jüngste Wahl gewonnen hatte, schrieb der Wirt seine Speisekarten auf Kyrillisch, wie es sich gehörte. Alexandru ahnte nicht, dass ein Machtwechsel bevorstand.
    Jewgeni rückte die Sonnenbrille zurecht – ein Prada-Modell, auf Geschäftsreise in Zypern erstanden. Kontrollierende Blicke die Straße des 25. Oktober entlang. Er nannte sich Sicherheitsberater des Magnum-Konzerns und diente den Bossen als Fahrer und erster Leibwächter. Karpow hielt ihn besonders auf Trab.
    Die politische Entwicklung machte die Konzernleitung nervös. Man war nicht mehr sicher vor CIA-Agenten, Randalierern von Proriv oder langbärtigen Koranjüngern, die sich beim Waffenkauf betrogen fühlten.
    »Der Stör war früher auch besser«, raunte der Finanzdirektor beim Einsteigen. Karpow rülpste und klappte sein Schweizer Taschenmesser auf, um damit zwischen den Zähnen zu stochern.
    Jewgeni drehte den Zündschlüssel. Mit einem Schnurren aus acht Zylindern meldeten sich schlappe 350 PS einsatzbereit.
    Karpow sagte: »Alexandru will das Kumatschok neu anstreichen. Lauter Sterne in Rot und Gelb.«
    Rote Sterne standen für das Regime, gelbe für den Konzern. Magnum-Eigner war Wladimir Turin, der Präsidentensohn, der auch Polizei und Zoll befehligte – dass die Bosse der Firma ihren Stör umsonst bekamen, verstand sich von selbst.
    »Dabei kann er sich die Sterne demnächst in den Hintern schieben«, ergänzte Karpow und fuhr fort, seine gelblichen Beißer zu bearbeiten.
    Manieren wie ein Schweinebauer, fand Jewgeni. Patruschew, Karpows Vorgänger, war von anderem Zuschnitt gewesen.
    Sie passierten die Magnum-Tankstelle, den Magnum-Supermarkt und den Präsidentenpalast mit der Statue, die nach Moskau grüßte. Womöglich waren auch die Tage des guten alten Wladimir Iljitsch
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