Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Königsallee

Königsallee

Titel: Königsallee
Autoren: Horst Eckert
Vom Netzwerk:
ein rascher Abgang als ein Machtwechsel auf Raten, der womöglich im Knast der Imperialisten endete.
    Jewgeni würde den Clan begleiten. Abchasien lag am Schwarzen Meer. Eine schöne Küste, allerdings zu abgelegen für das internationale Geschäft. Wie Jewgeni die Turins einschätzte, war der Westen ihr Ziel. Ein Ort, an dem die Behörden ein Auge zudrückten. Wo man mit Geld vieles regeln konnte. Vielleicht Zypern oder Marbella – zahlreiche Perestroikagewinner hatten dort ihre Zelte aufgeschlagen.
    Bloß nicht Deutschland! Schon der Gedanke daran bereitete Jewgeni Magengrimmen.
    »Hey!«
    Karpow eilte heran und winkte mit hochgerecktem Arm. Wladimir Turin schritt an seiner Seite.
    Jewgeni öffnete ihnen die Türen.
    Der Präsidentensohn zwinkerte vertraulich und nahm auf dem Rücksitz Platz, den er bevorzugte. »Zum Palast!«
    Jewgeni glaubte, die Luft im Auto werde dünn. Das ging ihm jedes Mal so. Der Konzernboss verkörperte alles, was er bewunderte und fürchtete.
    Jewgeni fuhr los.
    Wladimir sagte: »Ich habe Anna ein Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter besorgt und prompt plappert sie aus, was es ist.« Anna – Wladimirs fünfjährige Tochter.
    »Süß«, antwortete Karpow.
    »Nein, dumm!«, blaffte Wladimir seinen Oberbuchhalter an. »Ein Mensch braucht seine Geheimnisse! Anna muss lernen, Kraft daraus zu schöpfen. Wie kann sie wissen, wer sie ist, wenn sie all ihre Geheimnisse preisgibt? Anna darf nicht enden wie dieses Land!«
    »Nein, wirklich nicht«, stimmte Karpow zu.
    »Zöllner aus EU-Staaten kontrollieren die eine Grenze, CIA-Agenten regieren jenseits der anderen. Wir sollen unsere Flugverbindung nach Zypern einstellen. Und jetzt fällt uns auch noch Gazprom in den Rücken. Man will uns unserer Macht berauben.«
    »Diese imperialistischen Hunde!«
    »Karpow, du kennst die Summen, die ich verteile. Wenn wir trotzdem nicht mehr Herr im Land sind, brauchen wir eine neue Heimat.«
    »So ist es, Chef.«
    »Hier sind die guten Zeiten vorbei. Im Westen fangen sie für uns erst an. Was meinst du, Jewgeni?« Der Angesprochene räusperte sich. »Wenn du es sagst, Wladimir.«
    Wehmütig dachte Jewgeni an fünfzehn gute Jahre zurück. Vierzigtausend Tonnen an Waffen und Munition hatten die Russen bei ihrem Abzug aus Osteuropa nach Transnistrien geschafft und der Obhut ihrer 14. Armee übergeben. Ein Schatz, der noch längst nicht komplett verhökert war. Kriegsgerät war das begehrteste Exportgut des Landes, noch vor Nutten und Designerdrogen.
    »Alle reden von der Globalisierung«, fuhr Wladimir fort. »Wir verkaufen Magnum an die dummen Oligarchen aus dem Donbass und ziehen nach Westen. Trinken wir auf unsere Geheimnisse!«
    »Ja, ein Baltyka wäre jetzt nicht schlecht«, stimmte Karpow zu.
    »Wer redet denn von Bier!«
    Im Rückspiegel beobachtete Jewgeni, wie Wladimir eine Flasche Dom Pérignon aus der Kühlbox angelte und sich am Verschluss zu schaffen machte.
    »Hauptsache, du hast keine Geheimnisse vor mir, nicht wahr, Karpow?«
    »Um Himmels willen, Chef!«
    »Es ist nämlich deprimierend, wenn ich an der Buchführung zweifeln muss. Dein Vorgänger hat mich unendlich enttäuscht. Da fällt mir ein, Jewgeni, wo ist eigentlich dein Gips?«
    »War mir lästig. Heilt auch so.«
    »Eisenfaust, was?«
    »Normal schlage ich auf die Kehle, aber der Kerl hat sich geduckt.«
    Der Oberboss wandte sich wieder an den Finanzdirektor. »Jewgeni hat Patruschew den Schädel zertrümmert. Mit der bloßen Faust. Ein einziger Schlag. Beachtlich, Karpow, nicht wahr?«
    »Hm.«
    »Jetzt stiert der arme Patruschew an die Decke, sabbert und erkennt seine eigenen Kinder nicht. Und warum das ganze Unglück, Karpow?«
    »Weil Patruschew …«
    »Ach, schweig und nimm!« Der Präsidentensohn reichte zwei volle Gläser nach vorn.
    Jewgeni nahm eines davon entgegen und bemühte sich, nichts zu verschütten, während er mit einer Hand um die Schlaglöcher steuerte.
    Hier sind die guten Zeiten vorbei …
    Bitte nicht Deutschland, dachte Jewgeni. In Wünsdorf hatte ihn eine Schlampe angezeigt, die seine Behandlung überlebt hatte und aus dem Keller entwischt war. Russische Militärpolizei hatte ihn verhört. Dabei waren es seine Kontakte gewesen, die den damaligen Schwarzhandel mit Heizöl aus Armeebeständen möglich gemacht hatten. In jenen Tagen waren die Turins auf ihn aufmerksam geworden.
    Zwischen den Lagerhallen flackerte die untergehende Sonne, die sich im Fluss spiegelte. Jewgeni verspürte Wehmut. Die Jahre in diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher