Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod des Zauberers

Der Tod des Zauberers

Titel: Der Tod des Zauberers
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
deines Vaters war und sich am Schreibtisch zu schaffen machte?«
    »Nein, nichts — schließlich liegt mein Zimmer am anderen Ende des langen Korridors.«
    »Wie lange braucht man, um mit dem Rad nach Achenreuth zu fahren? Du hast den Weg doch sicherlich oft genug gemacht, wenn es irgend etwas rasch zu besorgen gab.«
    »Man kann den Weg leicht in einer Viertelstunde schaffen. Vielleicht sogar in zehn Minuten. Alex hat sicherlich nie länger gebraucht.«
    »Aber an jenem Tag hatte es doch ziemlich stark geregnet und die Straße war weich.«
    Sie stockte plötzlich, als fiele ihr etwas Erschreckendes ein. »Ich hatte doch am Vormittag das Fahrrad geputzt«, sagte sie ein wenig atemlos, »und ich ärgerte mich, als es mittags zu regnen begann. Es goß zwei Stunden lang. Der Weg nach Achenreuth wurde wieder einmal grundlos. Aber weder Sofie noch ich haben das Rad benutzt. Es stand noch am Abend sauber im Schuppen, am Abend jenes Tages, an dem Manueli bei uns auftauchte.«
    »Und weiter?« fragte ich ein wenig ungeduldig.
    Hansi starrte mich an. Ihr Gesicht sah blaß und klein aus.
    »Als ich am nächsten Morgen in den Schuppen ging, um Hühnerfutter zu holen, stand das Fahrrad an der alten Stelle, aber Felgen und Reifen waren voll verkrustetem Lehm. Dabei war der Weg nach Achenreuth längst wieder knochentrocken... Verstehst du, Paul? Niemand anderer als Sofie kann das Rad benutzt haben! Und zwar am Abend, als die Straße nach Achenreuth vom Regen noch aufgeweicht und schmutzig war!«
    Ich nickte ihr zu und streichelte ihre Hand.
    »Beginnst du jetzt daran zu glauben, daß ich Sofie nicht ohne Grund verdächtigt habe? Du mußt sie aus ihrem Wesen heraus zu verstehen versuchen. Ich meine, Sofie hätte sich für deine Mutter und für jeden von euch zerhacken lassen. Denke einmal daran, daß sie alles, was deiner Mutter vor zwanzig Jahren widerfuhr, miterlebt und miterlitten hat, als geschähe es ihr selbst. Vielleicht wußte sie sogar, daß Manueli immer wieder versucht hat, sich in das Leben deiner Eltern einzudrängen und sie zu beunruhigen. Vielleicht kannte sie auch seinen Plan, sich Alexander zu nähern, denn ich nehme nicht an, daß deine Mutter vor ihr ein Geheimnis gehabt hat. Sie muß Manueli maßlos gehaßt haben. Und als er nun in Pertach auftauchte, da mag der Wunsch, den sie vielleicht schon seit Jahren mit sich herumtrug, diesen Menschen zu vernichten, in ihr zum festen Entschluß geworden sein. Denke auch daran, wie sie mit dem Schürhaken auf ihn losgehen wollte; er lag ihrer Art sicherlich näher als die Pistole, die sie dann aus dem Schreibtisch holte und mit der sie, von niemandem im Haus bemerkt, nach Achenreuth gefahren ist. Daß sie mit der Waffe umzugehen verstand, weiß ich, denn dein Vater hatte ihr den Gebrauch erklärt, damit sie sich und das Haus schützen konnte, wenn sie allein daheim blieb. Drei Schüsse... Damit entlud sich ein Haß von vielen Jahren.«
    Hansi saß blaß und erschöpft neben mir.
    »Mir ist ganz elend zumut«, sagte sie erstickt und verzog den Mund, als schmecke sie gallige Bitternis.
    Die Sonne brannte unerträglich heiß hernieder. Selbst im Schatten des mächtigen Ahorns glaubte man zu ersticken. Die Luft stand träg und dick unter seinem breiten Blätterdach. Ich ließ den Motor anspringen und drückte aufs Gas, aber auch die siebzig Stundenkilometer, die ich aus dem alten Ottokar herausquetschte, brachten keine Abkühlung. Das Hemd klebte mir am Rücken, und der Schweiß rann mir von der Stirn beizend in die Augen.
    Wir verhielten zwischen Achenreuth und Pertach auf der Höhe des Hügels. Die Berge lagen hinter zitternden Dunstschleiern, aber dort, wo sie sich sonst blau in den Horizont schwangen, türmten sich mächtige, schneeweiße Kumuluswolken mit leuchtenden Rändern auf. Der See lag spiegelblank vor uns, umrahmt von kühlen Tannenwäldern, silbrig grünen Kornfeldern und saftigen Wiesen, auf denen rotbuntes Vieh träg den Schatten gesucht hatte. Kein Vogelruf, kein Laut und kein Mensch außer uns beiden weit und breit. Eine Landschaft, aus der die Mittagsglut alles Leben vertrieben zu haben schien. Hinter den spitzen Zypressen und hohen Blautannen blinkten die weiß gekalkten Stallmauern und ein Stück des Schieferdaches vom Georgischlößl herüber.
    Hansi suchte meine Hand und preßte sie an ihre Wange.
    »Du wirst schonend zu ihr sein, nicht wahr?«
    »Ja, natürlich, mein Herz — ich weiß doch, weshalb und für wen sie es getan hat.«
    Mein Handrücken
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher