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Das Geheimnis des Nostradamus

Das Geheimnis des Nostradamus

Titel: Das Geheimnis des Nostradamus
Autoren: Uschi Flacke
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Südfrankreich, Anfang des 16. Jahrhunderts
     
     
     
    Wieder glitt der Stern mit dem Feuerschweif in trügerischer Stille über das Firmament, als würde er von einer Macht jenseits der Zeit durch die Unendlichkeit gezogen. Und wieder huschten verängstigte Menschen vor die Stadttore, bekreuzigten sich und starrten in den düsteren Himmel, als erwarteten sie ein böses Omen. Vielleicht würde ja ein gigantischer Blitz aus dem Kometenschweif aufs Land peitschen, um Dörfer in lodernden Brand zu setzen, um sich mit gierigen Flammenmäulern durch die Ernten zu fressen und den Flüssen mit irrwitziger Hitze das Wasser aus den Leibern zu brennen. Oder der Komet würde die kristallnen Schalen, an denen die Sterne befestigt waren, zerschlagen, sodass sie in einem taumelnden Feuerregen zur Erde stürzten.
    »Das Ende ist nah!«, schluchzte eine leise Stimme. »Maria, bitte für uns…«
    »Ave Maria, gratia plena…«, fielen flüsternde Stimmen ein, erst zögerlich, dann drängten sie immer mehr beschwörend durch die Nacht. Der Wind trug die flehenden Gebete bis hinüber zu den Pinienwäldern, wo sich der Flusslauf der Garonne zwischen den Berghügeln verlor. Ein betörender Rosenduft breitete sich aus, als wollte das Land ein letztes Mal seine köstliche Süße verströmen.
    Jetzt schwirrten Stimmen durcheinander. Einige flüsterten, andere schrien auf. »Eine Dürre wird die Ernte vernichten, als Strafe für unsere Sünden«, keuchte einer.
    »Herr, erbarme dich unser, die Kinder sind krank, wir werden verhungern«, wimmerte ein Weib. »Vergib uns unsere Schuld! Lass uns das Brot für die Kinder!«
    »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erden…«, raunten Gebete durch die Nacht.
    Jemand stolperte mit einer Pechfackel herbei. Das Licht huschte in fiebriger Hast über die bleichen Gesichter der Gaffenden, als wollte es durch die weit aufgerissenen Augen in ihre Seelen eintauchen. Ein junges Weib mit gewölbtem Bauch stöhnte auf und hockte sich auf einen der Strohballen, die für die Menschen herangekarrt worden waren.
    Jetzt erhob sich ein barhäuptiger Alter in einer düsteren Kutte. Ein dürrer Mann mit gelblichem Gesicht leuchtete ihm mit einer Laterne entgegen. Der graue, wallende Bart fiel dem Prediger bis auf die Brust, wo er die Hände gefaltet hielt. Jetzt streckte er sie dem Firmament entgegen, als wollte er sich selbst als Opfergabe darbieten. Mit Inbrunst erhob er seine Stimme, die sich immer deutlicher durch das Stimmengewirr der anderen ihren Weg bahnte: »Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib, mit der Sonne bekleidet, der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Sie war schwanger und schrie in Kindesnöten und hatte große Qual bei der Geburt. Und es erschien ein anderes Zeichen am Himmel, und siehe, ein großer, roter Drache…«
    Immer mehr Menschen kreischten auf. Andere warfen sich zu Boden, zerrissen ihre Kleider und heulten wie in tiefer Besessenheit.
    »… der hatte sieben Häupter und zehn Hörner und auf seinen Häuptern sieben Kronen. Und sein Schwanz zog den dritten Teil der Sterne des Himmels hinweg und warf sie auf die Erde…«, heulte der Prediger mit wimmernder Stimme. Zitternde Hände zerrten an seinem Predigermantel, um den verdreckten Saum zu küssen. Andere warfen sich schluchzend einander in die Arme. Einer geißelte sich mit einer Pferdepeitsche.
    »Wir werden nichts zu essen haben…«
    »In Cavaillon kam ein Kalb mit zwei Köpfen auf die Welt…«
    »In Marseille wütet schon die Pest…«
    Die Schwangere, die breitbeinig auf dem Strohballen hockte, krümmte sich mit einem Aufschrei. Etwas Feuchtes schwappte durch ihren Rock. Weiber umringten sie, hielten ihre Hände, fassten nach ihrem Leib.
    »Nicht hier«, hörte man es tuscheln. »Dort hinten. Bringt sie hinter den Stall!«
    Jetzt hallte ihr Schrei durch die Nacht, als wollte er sich gegen ein drohendes Unheil aufbäumen. Das Laternenlicht flackerte wie besessen in den Augen des Predigers, der seine sehnigen Arme noch beschwörender dem düsteren Himmel entgegenstreckte. Der Kuttenumhang rutschte auf die Schultern herunter. Dunkle Leberflecke glänzten auf seiner Haut wie faulige Stellen.
    »Es ist die gerechte Strafe des Herrn gegen die Ungläubigen, gegen die Lutheraner, die die heilige Macht der katholischen Kirche anzweifeln!«, donnerte seine Stimme über die Köpfe der Menschen hinweg. »Gegen die Waldenser, die unsere Jungfrau
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