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Leichenspiele: Ein Max-Broll-Krimi (German Edition)

Leichenspiele: Ein Max-Broll-Krimi (German Edition)

Titel: Leichenspiele: Ein Max-Broll-Krimi (German Edition)
Autoren: Bernhard Aichner
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Eins
    Die Flasche in seiner Hand.
    Das Bier wie ein Wildbach durch seinen Hals. Baroni neben ihm, die Füße im Sand. Seit vier Monaten hat er ihn nicht gesehen, nicht mit ihm geredet, da war nur ein E-Mail vor sechs Wochen, sonst nichts. Kein Kontakt zu dem, was war, kein Wort, nur Sand und Wasser. Nur Meer und Max.
    Seit vier Monaten sitzt er in seinem grünen Plastikstuhl. Seit vier Monaten isst er Reis mit Huhn, seit vier Monaten trinkt er nicht. Keinen Schluck, seit er aufgebrochen ist, seit er sich von Baroni verabschiedet hat.
    Ich muss weg, hat er gesagt.
    Bleib nicht zu lang, hat Baroni gesagt.
    Thailand. Max wollte ihr Grab nicht mehr sehen, nicht jeden Tag daran erinnert werden, dass sie tot war. Hanni, seine Liebe, die Frau, mit der er leben wollte, die mit ihm alt werden hätte sollen im Friedhofswärterhaus, die Frau, mit der er Kinder wollte, die ihn geheiratet hätte. Hanni, die Frau, die ihn genommen hat, wie er war.
    Max Broll, Totengräber, Gemeindearbeiter, Studienabbrecher, Faulenzer, Trinker, Träumer. Sie hat ihn geliebt. Er hat sie geliebt. Bis sie tot in seinen Armen lag, tot in einer Kiste verschwand, für immer verborgen unter der Erde, unten am Friedhof, vor seinen Augen. Jeden Tag ihr Grab, das ihm weh tat, ihr Name auf dem Holzkreuz, ihr Name in seinem Kopf, ihr Lachen, ihre Hände, ihre Haut, ihre Stimme. Max wollte sie nicht mehr hören.
    Er wollte weg, er wollte vergessen, was war, er wollte ein Leben ohne sie, ohne die Liebe, die er endlich gefunden hatte. Er wollte nicht mehr daran denken, an dieses Leben, das sie gemeinsam hätten haben können, an das Glück zu zweit. Hanni war einfach nicht mehr da. Da war nichts mehr von ihr. Keine Bewegung, kein Satz, kein Wort.
    Hanni Polzer war tot. Für immer.
    Ein halbes Jahr lang schlief er ein mit Tränen, nichts machte es besser, Baroni nicht, Tilda nicht. Seine Stiefmutter, die sich liebevoll um ihn kümmerte, die ihn zurückholen wollte in die Welt, die ihm seine Tränen nehmen wollte. Tilda Broll, die zweite Frau seines verstorbenen Vaters. So sehr sie es auch versuchte, sie konnte ihm nicht helfen, es nicht wieder gutmachen, Hanni nicht zurückbringen. All ihre Bemühungen waren umsonst. Seine Tränen gingen nicht weg, sie kamen immer wieder, von unten nach oben, heraus aus ihm, sie taten weh, immer, jede Stunde, in der sie nicht da war, nicht zurückkam, Hanni.
    Auch Baroni konnte nicht helfen. Auch der Alkohol nicht, die Räusche, in die er sich flüchtete, die stundenlangen Gespräche mit seinem Freund auf der Dachterrasse, die vielen aufmunternden Worte, Baronis Scherze, seine Schulter, die immer für ihn da war. Max wollte allein sein.
    Nach sechs Monaten sprach er mit dem Bürgermeister und bat ihn um eine Auszeit. Er zeigte dem Totengräber aus der Nachbargemeinde, was auf seinem Friedhof zu tun war. Max wollte weg. Er ließ seine Gräber allein, die liebevoll mit Kies bedeckten Wege, die alten, in Schwarz gehüllten Damen, die jeden Tag für Stunden über den Friedhof irrten, die Kerzen, die jeden Tag brannten für die, die nicht mehr da waren.
    Weit weg, hat er gesagt und Baroni umarmt. Dann ist er geflogen. Nach Bangkok.
    Drei Tage blieb er dort, dann flüchtete er in der Stille. Keine Autos, keine Straßen, keine Verpflichtungen, nur er. Im Zug Richtung Süden. Dann weiter nach Ranong und im Boot auf die Insel. Koh Chang, ein Strand mit Holzhütten, kein Lärm, keine Geschäfte, nichts. Nur einfache Restaurants und Hütten, eine Hängematte, ein grüner Plastikstuhl, vierundzwanzig Stunden Meerblick. Und Max.
    Ohne Telefon, allein. Nur alle paar Wochen fuhr er zurück aufs Festland, setzte sich in ein Internetcafé und gab ein Lebenszeichen. Was zuhause passierte, wollte er nicht wissen, er wollte mit sich sein, er wollte, dass es aufhörte weh zu tun, dass ihn der Schmerz in Ruhe ließ, seine Erinnerungen, er wollte sich verabschieden von ihnen, sie aus seinem Kopf reißen, er wollte sie loswerden, sie behalten, er wusste nicht mehr, was er wollte.
    Vier Monate saß er auf seiner Insel und schaute der Sonne zu. Wie sie aufging, unterging. Wie sie es wieder hell machte in ihm, wie sie ihm die Tränen nahm. Stück für Stück. Wie das Leben langsam wieder in ihn zurückfand. Wie er den Himmel anstarrte, die Wolken. Wie der Regen kam jeden Nachmittag für eine halbe Stunde, und wie er wieder ging. Wie sich der Himmel veränderte, wie schön die Wolken waren. Der Sand war warm unter seinen Füßen, die Sonne tat so gut. Das
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