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Der stille Schrei

Der stille Schrei

Titel: Der stille Schrei
Autoren: Leon Specht
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schwach regte sich ein Widerstand. Was sollte das? Mein Herz klopfte wild.
    „Gut“, redete er sehr ruhig beschwichtigend auf mich ein. Ja, ich wollte nicht nur ruhiger werden, ich wollte sterben. Mein Herz machte Bocksprünge. Alles tat weh. Ein Stich in meinem Kopf: Hatte ich einen Herzinfarkt?
    „Sehr schön“, fuhr er fort. „Sie sind an ihre Grenze gegangen. Das war wichtig, um Ihren Maximalpuls zu bestimmen. Er liegt bei 180. Nicht schlecht.“
    Mir war immer noch schwindlig. Maximalpuls. 180. Schwindel. Seine Hand auf meinem Handgelenk. Mein Leben war ein völliges Durcheinander. Ich wollte mich nur noch fallenlassen.
    Dann griff er mir unter die Arme und hob mich behutsam auf. „Bitte gehen Sie. Schritt für Schritt.“
    Ich konnte gar nicht anders, als ihm zu gehorchen. Meine Knie bestanden aus Marshmallows, meine Füße knickten ständig ein. Aber er hielt mich und stützte mich wie ein kleines Kind. Also konnte ich gar nicht anders, als auf eine neue, für mich als erwachsene Frau schamvoll neue Art das Laufen zu lernen.
    Gefühlte Stunden später kamen wir in seinem Office an. Langsam wurde mein Blick klarer. Ich hörte auch wieder Geräusche. Matt und doch irgendwie erfrischt ließ ich mich auf ein Sofa plumpsen, das ich jetzt erst entdeckte. Die Rückenstühle hätte ich nicht mehr überlebt.
    „Frau Röder, können Sie morgen zur selben Zeit wiederkommen?“
    Es dauerte einige Zeit, bis die Frage in meinem Gehirn ankam. Bedacht werden musste. Morgen. Zur selben Zeit. Wiederkommen. Wollte ich? Erneut diese Schmerzen spüren? Oder diese Leichtigkeit. Seine Schwerelosigkeit. In das schwarze Loch fallen und kurz vor dem endgültigen Exitus wieder herausgezogen werden oder herausfinden? Der Durchgang zu wirklich Neuem schien wohl offensichtlich nur über den Weg der Schmerzen zu gehen.
    Noch immer betäubt, nickte ich. Dann machte ich mich auf den Weg.
    Wie ich nach Hause gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich schloss die Wohnungstür auf. Karl war, es konnte auch nicht anders sein, nicht zu Hause. Noch nie war er mittags aufgekreuzt. Kontrolle. Wie lange machten seine Führungskräfte Mittagspause, das war eine seiner Lebensfragen. Ich stolperte in die Diele, wollte mir die Schuhe von den Füßen streifen. Aber es ging nicht. Nach unten schauend registrierte ich, dass ich Laufschuhe anhatte. Meine Schuhe standen im Laufoffice. Ich kicherte ob der Surrealität des Geschehens. Also musste ich morgen ja dort wieder auftauchen. Meine teuren Pumps wollte ich nicht aufgeben. Instinktiv fand ich den Weg ins Schlafzimmer und plumpste halbtot ins Bett. Innerhalb von Sekunden war ich eingeschlafen.

KARL
    Am frühen Nachmittag wurde ich wach. Ich blinzelte und fixierte den schwarzen Punkt an der Decke. Wurde ich neurotisch? Paranoid? Hatte Karl dort eine Webcam installiert, um seine Züchtigungen heimlich aufzunehmen? Ich schüttelte den Kopf, um mich von diesen Wahnvorstellungen zu befreien. Nein, der Punkt bewegte sich. Ich stellte die Augen scharf und sah einen winzig kleinen Marienkäfer über die Decke klettern. Ein Glückskäfer.
    Ganz leicht beschwingt stand ich auf. Der kurze Schlaf hatte mir gutgetan. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich in voller Montur ins Bett gegangen war. Was soll’s. Ich ging runter in die Küche und kochte mir einen Kaffee. Das Koffein machte mich wach. Wirklich wach. Nun erst realisierte ich, dass die eigentliche Herausforderung noch bevorstand. Karl. Was würde geschehen, wenn er heute Abend nach Hause kam? Würde er mich sofort durchprügeln? Mein Mantra meldete sich. Schön, dass es zu mir hielt.
    Also beschloss ich, den Abend zu inszenieren. MPT. Mantra Personal Training. Er würde zwischen 18.30 Uhr und 19.15 Uhr nach Hause kommen. Seine übliche Zeit. Die Firma war zu der Zeit leer. Er war immer der Letzte.
    Dann war er hungrig. Er konnte Unmengen vertilgen. Wie ein großer Schaufelbagger. Am liebsten fett, knusprig, kalorienreich. Also Bratkartoffeln mit einem dicken Pfeffersteak. Scharf. Feurig. Winzige Peperonis, klein geschnitten, darüber- gestreut. Dazu ein großes Weizenbier. Und noch eins. Ich bereitete alles vor.
    Heute kam er etwas früher. Ich spürte sein Kommen, bevor er die Haustüre öffnete. Die Straße vibrierte. Oder waren es meine Nerven?
    Er betrat das Haus und war mit wenigen Schritten im Esszimmer. Ein Auge glitzerte böse, das andere strahlte. Welches mir galt, war schon klar. Warum war er so fröhlich? War er bei seiner Freundin
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