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Der stille Schrei

Der stille Schrei

Titel: Der stille Schrei
Autoren: Leon Specht
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Dorf. Und Bad. Oder?“
    Machte Sinn. Ein ulkiger Typ.
    „Also, los geht’s. Ihre erste Einheit mit mir. Sie bleiben einfach an meiner Seite.“
    Dann ging er einfach los. Ich wollte joggen und fiel in einen Trab.
    „Nein, nein, holdes Fräulein. Wir gehen. Langsam, langsam.“
    Also wanderten wir in hohem Tempo durch den Kurpark. Links der blonde Hüne, rechts der Ententeich mit einer kleinen Entenfamilie. Goldig. Dazwischen ich. Die Ängstliche. Auf der Suche nach einer Entenmutter. Konrad Lorenz kam mir in den Sinn.
    „Und?“ Er sah mich von der Seite an. „Anstrengend?“
    „Weiß ich nicht, wir haben doch gerade erst angefangen.“
    Doch ich merkte schon, dass mein Atem schneller ging. Er textete mich zu. Erzählte dies, berichtete das und stellte zum Glück keine Fragen. Ich hatte den Eindruck, dass er das Tempo ein wenig variierte. Mal gingen wir ein wenig schneller, mal ein wenig langsamer. Ich war so konzentriert, möglichst genau an seiner Seite zu bleiben, dass ich alles andere fast ausblendete. Interessant, als ich es bemerkte. Vom Kurpark bekam ich fast gar nichts mehr mit.
    Nach einer kleinen Weile ging mein Atem schon recht stoßweise. Mein Brustkorb hob und senkte sich in kurzen Abständen.
    „Stop“, unterbrach er unsere Bewegung. „Setzen Sie sich hier auf die Bank.“
    Erleichtert setzte ich mich.
    „Und? Wie war’s? Was haben Sie gemacht?“
    Während ich noch überlegte, beantwortete er seine Frage schon selbst.
    „Ihre erste Einheit mit TPT. Genauer gesagt eine WTTP.“
    Mann, oh Mann. Ein Abkürzungsfan. TPT kannte ich ja schon. „WTTP?“, fragte ich.
    „Walking through the park. Ein Stück von Colosseum. Exactly fifteen minutes.“
    Irgendwie sah er meinem Gesichtsausdruck an, dass ich nicht sonderlich beeindruckt war.
    „Okay, young lady. Ich erkläre es Ihnen. Das war Ihre erste Einheit. 15 Minuten sind schon eine Einheit. So einfach geht es. Der Zauber liegt darin, dass Sie diese Einheiten langsam steigern und irgendwann sind es dann 30 Minuten, dann 60 oder vielleicht auch drei Stunden, ganz wie Sie wünschen. Und, schwuppdiwupp, nehmen Sie ab. Gramm für Gramm, Kilogramm für Kilogramm.“
    Besonders erfreut sah ich wohl immer noch nicht aus. Wieso auch.
    „Es hat Ihnen also keinen Spaß gemacht.“ Das musste ganz klar in meinem Gesicht zu lesen sein.
    „Na ja, Spaß ist etwas anderes.“
    „Okay. Das verstehe ich. Aber so fängt es an. Wenn Sie dann erst mal in Ihren Flow kommen und die Endorphine Sie überschwemmen, dann werden Sie süchtig sein. The runner’s flow.“
    „Was ist das?“
    „Bei größeren Belastungen schüttet der Körper selbstproduzierte Glückshormone aus, sogenannte Endorphine, das sind Stoffe, die dem Opium verwandt sind. Deshalb nennt man sie auch Opiate.“
    Mmh. Das klang interessant. „Wie sehr muss ich mich dafür belasten?“
    „Oh, schon ein wenig, young lady. Aber damit Sie nicht die Lust verlieren, die Sie ja noch gar nicht verspüren, müssen wir uns langsam steigern. Kleine Steigerung gefällig?“
    Warum nicht. Ich nickte ergeben. Er schnappte sich daraufhin wieder meine Hand und zog mich mit einer Leichtigkeit von der Bank hoch, dass ich zu schweben schien.
    „Die zweite Einheit mit TPT beginnt: jetzt!“
    Und wieder schoben wir im schnellen Walking-Tempo gemeinsam durch den Park. Mein Gott: Wie konnte man so positiv und so fröhlich sein? Einerseits war es nervig, andererseits war es irgendwie auch ansteckend, wie ich ehrlicherweise zugeben musste. In Gedanken versunken walkte ich wie eine Walküre, so empfand ich meine Schwerfälligkeit im Vergleich zu seiner Leichtfüßigkeit. Intuitiv passte ich mich seiner Geschwindigkeit an. Jetzt trabten und joggten wir schon mit beträchtlicher Geschwindigkeit. Um mich herum versank alles in einem Tunnel. Geräusche, Menschen, der Park, Tiere – es verschwand alles. Das Einzige, was ich noch spürte, war mein Atem. Er wurde schneller. Ein leichtes Brennen in meiner Lunge. Nicht so schlimm. Der Tunnel wurde enger und enger. Ein schwarzes Loch breitete sich aus. Ich wollte …
    „Stop“, riss er mich aus irgendetwas heraus. „Hinsetzen!“ Im Befehlston gesprochen. Ich gehorchte widerstandslos und fiel auf eine Bank, die als Rettungsinsel in meinem Blickfeld auftauchte.
    „Geben Sie mir Ihre Hand.“ Ich hatte sie beschützend um mich herum gelegt, um mich festzuhalten. Mein Gefühl war, dass ich fallen würde. Das schwarze Loch hatte mich angezogen. Er nahm meine Hand. Nur noch
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