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Der silberne Sinn

Titel: Der silberne Sinn
Autoren: Ralf Isau
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und wenn ja, von wem.
    Als sehr hilfreich für meine Recherchen hat sich die Website Alternative Considerations of Jonestown & Peoples Temple (http://www.rohan.sdsu.edu/remoore/jonestown/) erwiesen. Sie entstand unter der Federführung des Department of Philosophy and Religion an der Universität von North Dakota, um eine – wie ich denke, sehr ausgeglichene und informative – »Alternative zu der allgemeinen Antikulthysterie zu präsentieren, welche die Diskussion um den Volkstempel charakterisiert«. Die tragischen Vorfälle der Weißen Nacht auf das Treiben eines »gefährlichen Kults« zu reduzieren ist natürlich bequem und kommt einigen Sektengegnern sehr gelegen, müssten sie sich doch andernfalls, sobald sie einen Blick über den eigenen Tellerrand wagen, sehr unbequemen Fragen stellen: Das Committee on Foreign Affairs des US-Repräsentantenhauses (heute Committee on International Relations) stellte eine Untersuchung der Todesumstände von Congressman Leo J. Ryan an. Viele der zusammengetragenen Dokumente wurden als geheim eingestuft (offizielle Klassifizierung: »Remained inaccessible for the intervening decades to scholars, individuals who lost family members at Jonestown, and the general public«). Eine Gruppe von Wissenschaftlern ersuchte das Repräsentantenhaus um die Freigabe der Dokumente. Sollte diese nur eine Bestätigung der offiziellen Darstellung der Vorgänge in Jonestown beinhalten, dürfte der Öffnung der Akten eigentlich nichts im Wege stehen. Wie lautete also die Antwort? Am 18. November 1998 veranstalteten die Gelehrten anlässlich des zwanzigsten Todestages von Ryan in Washington eine Pressekonferenz, auf der Dr. Gordon Melton vom Institute for the Study of American Religion resümierte: »Zwanzig Jahre danach scheint es keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder nationaler Interessen zu geben, die Dokumente länger geheim zu halten (…) Es ist unsere Überzeugung, dass die Zeit gekommen ist, diese Dokumente freizugeben, sodass eine gründlichere Beurteilung dessen, was wirklich in Jonestown passiert ist, erreicht werden kann. Unser Verständnis der Jonestown-Todesfälle wird immer noch behindert durch die fehlende Verfügbarkeit zahlreicher Schlüsseldokumente, welche die Situation in Jonestown kurz vor und während des Besuches von Congressman Ryan, die Beziehung des Außenministeriums zur Jonestown-Gemeinde und die geistige Verfassung des Führers des ›Volkstempels‹, Reverend Jim Jones, erhellen würde.«
    Einige Personen glauben, der Volkstempel sei ein experimentelles Labor gewesen, das vom und für den CIA unterhalten wurde, um Techniken der Gedankenkontrolle zu perfektionieren. Bis heute gibt es keine überzeugenden Beweise für derartige Spekulationen. Ergänzend bleibt zu erwähnen, was der San Francisco Chronicle am 13. November 1998 über die Hintergründe von Jonestown schrieb und was, soweit mir bekannt, nach wie vor gültig ist. Unter der Überschrift »Die meisten Volkstempel-Dokumente immer noch unter Verschluss« hieß es dort mit Blick auf den Geheimhaltungsstatus von Ermittlungsakten, der Kongress habe »etwa fünftausend Dokumente, die Gelehrte und Konspirationsverfechter lieben würden, niemals deklassifiziert«. Welche unbequemen Wahrheiten enthalten diese Akten? Stören sie etwa das schlichte Bild von den »labilen Sektenanhängern«, die sich von ihrem Führer den Suizid aufzwingen ließen? Da ich nicht weiß, was in diesem Berg von Papieren steht, musste ich mich von meiner eigenen Fantasie leiten lassen.
    Immerhin trug die Lektüre der RYMUR-Akte maßgeblich zu den Schilderungen im Teil I des Romans bei. Das Kürzel des FBI-Dokuments steht für Ryan murdered. Auf dreihundertvierundsechzig Seiten kommen hier die Augenzeugen des Mordes an Congressman Leo J. Ryan zu Wort. Ein rührendes und durchaus spannendes Erlebnis war es für mich, mit anzusehen, wie das FBI penibel Namen und andere Informationen geschwärzt hat, die Rückschlüsse auf die Identität der Zeugen zulassen, es gleichzeitig aber versäumte, die Querverbindungen der einzelnen Zeugnisse zu zensieren. Wenn etwa Zeuge X (Name geschwärzt) berichtet, ihm habe ein Schuss das Handgelenk zertrümmert und seine Uhr sei im hohen Bogen davongeflogen, und sich einhundert Seiten später Zeuge Y erinnert, dass genau so etwas dem Reporter Soundso passiert sei, dann gerät der Zeugenschutz zur Farce. Solche »Ausrutscher« waren für mich sehr hilfreich, die Ereignisse von Jonestown möglichst
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