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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut
Autoren: Sabine Klewe
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mit Licht und Leben füllte, wie Spunte und sein Team anrückten. Sie wollte nur schlafen und nie wieder aufwachen.

54

    Lydia wandte sich vom Fenster ab. Sie fror. Eine beißende, allumfassende Kälte, die tief aus ihrem Inneren zu kommen schien, lähmte ihre Glieder. Sie trug immer noch Kösters Jacke, darunter eine viel zu weite blaue Jogginghose und ein Paar verdreckte Gummistiefel, die im Kofferraum seines Wagens gelegen hatten.
    »Das Zeug trage ich, wenn ich mit dem Hund rausgehe«, hatte er gesagt. Sie hatte überhaupt nicht gewusst, dass er einen Hund besaß.
    Ihre eigenen Sachen hatte Spunte eingetütet und mitgenommen, nicht einmal ihre Unterwäsche hatte er herausgerückt.
    Der Krankenhausflur war still, viel zu still. Eine der Neonröhren sprang ständig aus und an, wobei sie jedes Mal einen hässlichen Klacklaut von sich gab, der Lydia an diese elektrischen Fliegenfänger denken ließ, die im Sommer in den Restaurants hingen und gefräßig knackten, wenn sie ein Insekt in die Falle gelockt hatten. Irgendwo hinter einer der vielen Türen wurde Salomon notoperiert. Als sie angekommen waren, hatten sie einen Arzt erwischt, doch er war wortkarg geblieben.
    »Er hat sehr viel Blut verloren. Wir tun alles, was wir können«, hatte er unverbindlich geantwortet.
    Lydia hatte sich damit nicht abspeisen lassen wollen, doch Köster hatte sie behutsam, aber nachdrücklich in den Wartebereich bugsiert.
    Lydia fuhr sich mit den Fingern über das Gesicht. Einer der Sanitäter hatte ihre Wunde unter dem Auge notdürftig versorgt und ihr geraten, sie röntgen zu lassen. Der Knochen darunter könnte gebrochen sein.
    Köster kam mit zwei braunen Kaffeebechern um die Ecke und reichte ihr einen. Das Getränk schmeckte ekelhaft und erinnerte nur sehr entfernt an Kaffee, aber es war heiß. Lydia verzog angewidert das Gesicht.
    »Warum dauert das so lange?«, stieß sie hervor.
    »Sie versuchen, sein Leben zu retten, Kleines.« Köster sah uralt und grau aus, Lydia verspürte plötzlich den Drang, ihn zu berühren, jemanden zu berühren, die lebendige, tröstliche Wärme eines anderen Menschen zu spüren.
    »Ach, Köster«, sagte sie. »Was habe ich nur für einen Mist gebaut! Ich habe mich wie eine absolute Idiotin verhalten und euch alle in Gefahr gebracht.«
    Köster schüttelte langsam den Kopf. »Hast du nicht. Du wusstest einfach nicht mehr, wem du noch trauen konntest. Wenn dir klar wird, dass der Täter aus den eigenen Reihen stammt, ist das eine Katastrophe.«
    Lydia antwortete nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie wussten beide, dass das nur die halbe Wahrheit war. Sie starrte auf die nervöse Neonröhre. »Wie habt ihr uns gefunden?«, fragte sie schließlich. Es interessierte sie nicht wirklich, nicht in diesem Augenblick, aber alles war erträglicher als dieses tatenlose, stumme Warten.
    Köster erzählte ihr, was er von Schmiedel erfahren hatte, auf dem Parkplatz, während sie auf die Kavallerie warteten, bis der erste Schuss gefallen und er hinter den anderen her in den Wald gestürmt war. Lydia lauschte schweigend. Als er von den Entdeckungen in Mörikes Wohnung berichtete, zuckte sie zusammen, doch sie unterbrach ihn nicht.
    »Hackmann hat Mörike erwischt«, beendete er seinen Bericht. »Der Kerl hat es bis zum See geschafft, hat versucht, auf einem der Boote zu fliehen. Was hat der denn geglaubt, wie weit er kommen würde? Der Unterbacher See ist nicht das Mittelmeer. Hackmann hat ihm die Kniescheibe zerschossen, als er das Tau losmachen wollte.«
    Nachdem Köster verstummt war, sagte sie lange nichts, dann fragte sie leise: »Habt ihr noch andere Patientenakten bei Mörike gefunden?« Sie stellte sich vor, wie der Inhalt ihrer Akte im Präsidium die Runde machte, und musste sich gegen die weiße Krankenhauswand lehnen.
    »Keine Sorge, deine Akte ist nicht dabei. Ich habe das mit Spunte geklärt.« Köster sprach kaum hörbar und blickte starr auf den Boden.
    »Wo ist sie?«, flüsterte Lydia.
    »Muss wohl in dem ganzen Chaos verloren gegangen sein.« Er zuckte mit den Achseln, sah sie aber immer noch nicht an. Es musste ihm ungeheuer schwergefallen sein, die Akte verschwinden zu lassen. Er war der korrekteste Mensch, den sie kannte.
    »Ich habe Salomon für den Mörder gehalten«, stieß Lydia unvermittelt hervor. Sie stellte den Kaffeebecher auf der Fensterbank ab und schlug die Hände vor das Gesicht. »Ich war total blind.«
    Köster trat näher, fuhr ihr über das struppige Haar, entfernte ein
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