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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut
Autoren: Sabine Klewe
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was eine richtige Party ist.«
    Er möchte sich die Ohren zuhalten, aber seine Arme sind bleischwer, er kann sie nicht bewegen. Über ihm kracht es plötzlich. Danach ist es still. Er lauscht. Sein Herz klopft wie wild. Die Stille ist unheimlich. Sind alle fortgegangen?
    Endlich hört er ein leises Schluchzen, dann Schritte auf der Treppe. Jemand redet, aber er versteht kein Wort, vielleicht ist es Mama. Kurz darauf scheppert etwas in der Küche. Danach ist wieder alles still. Er schließt die Augen. Schlaf hüllt ihn ein. Einmal meint er, das Auto in der Einfahrt zu hören, doch es klingt wie ein entfernter Traum. Es ist ihm egal, er will es gar nicht wissen, er will für alle Zeit in der Truhe bleiben.

50

    Ruth Wiechert hämmerte mit der Faust gegen die Tür. Nichts rührte sich.
    »Sie ist nicht da«, sagte Chris.
    »Sie bringt uns um, wenn wir einfach so in ihre Wohnung spazieren. Ihr Zuhause ist ihr heilig.«
    »Das nehme ich auf meine Kappe. Mich kann sie eh nicht ausstehen.« Chris fummelte bereits am Schloss herum.
    Ruth kaute nervös auf einer Haarsträhne. »Verdammt, wenn wir uns irren, kriegen wir den Ärger unseres Lebens.«
    Das Schloss klickte, die Tür schwang auf.
    Chris drehte sich zu Ruth um. »Möchtest du draußen warten?«
    »Natürlich nicht!«, zischte sie ärgerlich. »Wie hast du das überhaupt so schnell aufgekriegt?«
    Chris zuckte mit den Schultern. »Guck dir das uralte Ding doch an. Da kommt jeder rein, der schon mal einen Schlüssel benutzt hat.«
    Sie huschten in die Diele und zogen die Tür hinter sich zu. Alles schien still. Ruth bog in die Küche ab, Chris ging geradeaus ins Wohnzimmer und schaltete das Licht ein. Er sah sich um, versuchte die Lydia, die er kannte, mit diesem Raum in Zusammenhang zu bringen. Was er sah, gefiel ihm. Auf einer Kommode stand ein alter Plattenspieler aus den Siebzigern, der einmal sehr teuer gewesen sein musste, und eine gigantische Sammlung alter Vinylplatten nahm fast eine komplette Wand ein. Unter dem Fenster befand sich ein antiker Kirschbaumtisch, darauf ein Laptop. Auf dem weinroten Sofa lag eine Wolldecke, auf dem Parkettboden davor entdeckte Chris eine fast leere Flasche Johnnie Walker Black Label.
    Wiechert trat hinter ihn. »Schon auf irgendwas gestoßen?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Dann gehe ich mal da hinein. Das müsste das Schlafzimmer sein.« Sie marschierte an ihm vorbei durch eine zweite Tür am Ende des Wohnzimmers. Kurz darauf hörte Chris, wie sie leise »Mist« sagte. Schnell lief er zu ihr hinüber. Sie stand an der Tür und starrte auf die freie Fläche über dem Bett, wo ein Kunstwerk prangte, das mit Sicherheit nicht Lydias Geschmack traf. Zwei geschwungene Linien, die sich kreuzten, gemalt in blutroter Farbe. Sie bedeckten fast die ganze Wand. Die Botschaft war unmissverständlich.
    Sebastian Mörike wohnte in einem anonymen Mietshaus in Oberbilk. Im Treppenhaus stand ein verwaister Einkaufswagen aus einem Supermarkt, unter den Briefkästen türmten sich Werbeprospekte. Überall bröckelte der Putz von den Wänden, das Geländer wackelte, als Meier danach griff.
    »Nett hier«, bemerkte er sarkastisch.
    An Mörikes Tür stand kein Name. Sie hatten den Schlüssel von einem verschlafenen Hausverwalter bekommen, dem glücklicherweise ein Blick auf die Dienstausweise genügt hatte. Meier schloss auf, und sie traten ein, die Waffen im Anschlag. Die Wohnung war verwaist und so gut wie leer. Mörike besaß offenbar kaum Möbel. Auf dem Boden im Schlafzimmer lag eine Matratze, die Kleidung schien auf eine Reihe Umzugskartons verteilt. In der Küche stand eine altmodische grüngelbe Küchenzeile, doch als sie die Türen öffneten, fanden sie nichts außer ein paar Tellern und ein wenig Besteck.
    »Wie kann man denn so hausen?«, fragte Hackmann ungläubig.
    »Ich nehme an, er ist erst kürzlich von Köln hierher gezogen«, antwortete Schmiedel. »Vielleicht hatte er noch keine Zeit, sich einzurichten.«
    Meier sah ihn zweifelnd an. »Das sieht nicht danach aus, als hätte er je vorgehabt, es sich hier gemütlich zu machen. Sondern eher so, als sei er auf der Durchreise.«
    Schmiedel nickte. »Kann schon sein. Schauen wir uns mal weiter um.«
    Sie gingen zurück in die Diele, wo Meier eine Tür entdeckte, die halb hinter der Garderobe verborgen war. Noch einmal zückten sie die Waffen, bevor sie die Tür aufstießen. Der Anblick, der sich ihnen bot, ließ sie erstarren. Hackmann fasste sich als Erster wieder und trat ein. Seine
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