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Der Seele weißes Blut

Der Seele weißes Blut

Titel: Der Seele weißes Blut
Autoren: Sabine Klewe
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beeilen.«
    Ruth lief hinter ihm her. »Was ist mit den anderen? Was ist mit Unterstützung?«
    »Das erledigen wir alles vom Auto aus.« Er rannte los, ohne sich zu vergewissern, ob Ruth ihm folgte. Als sie wieder in dem Passat saßen, begann er zu telefonieren.
    Lydia fühlte sich ausgeliefert und gedemütigt. Nackt und frierend stand sie vor Mörike, der eine Taschenlampe auf sie richtete und den Lichtkegel an ihrem Körper auf und ab gleiten ließ.
    »Na, wie fühlt sich das an, Lydia Louis?«, hörte sie seine körperlose Stimme. »Ganz schön beschissen, was? Aber du hast es nicht anders verdient. Ihr Schlampen habt es alle nicht anders verdient.«
    Sie zitterte und wünschte sich, das Bewusstsein zu verlieren. Sie wollte nicht mehr kämpfen, sie wollte nur noch, dass es endlich vorbei war.
    Mörike schaltete die Lampe aus und stopfte sie in seinen Hosenbund. Lydia blinzelte in die Dunkelheit, bis sie wieder etwas erkennen konnte, und sah, wie er ein paar Schritte in den Wald hineinging und mit der linken Hand Äste und Gestrüpp zur Seite zog, während er mit der rechten die Walther auf sie gerichtet hielt. Innerhalb von zwei Minuten hatte er eine Grube im Waldboden freigelegt.
    Mein Grab, dachte sie. Der Gedanke hatte beinahe etwas Tröstliches.
    »Komm her, du Flittchen!«
    Sie zuckte zusammen. Das Wort »Flittchen« klang seltsam altmodisch aus seinem Mund, beinahe niedlich, doch die Art, wie er es aussprach, jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Sie stolperte vorwärts. Steine und Wurzeln bohrten sich in ihre Fußsohlen. Sie hielt die Hände schützend vor das Gesicht, während Zweige ihren Körper streiften wie gierige Finger mit langen, spitzen Nägeln. Sie hatte angefangen zu weinen. Es war ihr egal, ob er sie für schwach und feige hielt. Es war ihr egal, was für Dinge er zu ihr sagte, wenn es nur bald vorbei war, wenn sie nur bald das Bewusstsein verlor und nichts mehr spürte.
    »Stopp!«, rief er, als sie den Rand der Grube erreichte.
    Sie blieb stehen und starrte hinunter. Die schwarze Erde sah weich und kühl aus, schien darauf zu warten, ihren Körper zu umfangen. Am liebsten hätte sie sich einfach vornüberfallen lassen.
    Mörike trat neben sie. Langsam, beinahe zärtlich, fuhr er mit dem Lauf der Walther über ihre nackte Haut. »Na, gefällt dir das?«, flüsterte er. »Oder möchtest du es etwas fester haben? Ja, ich glaube, du wirst gern hart rangenommen. Habe ich recht?«
    Ihr wurde übel. Wie viel wusste er über sie? Hatte er die Patientenakten seiner Schwester durchgesehen?
    »Oh ja, es macht dich scharf, wenn man dir ein bisschen wehtut. Ach Quatsch, was erzähle ich da für einen Blödsinn? Nicht nur ein bisschen, du willst so richtig fertiggemacht werden. Du liebst den Schmerz. Und weißt du was? Ich habe gute Nachrichten für dich. Du darfst dich freuen. Ich werde dir richtig wehtun. So sehr, dass du schreien und um Gnade winseln wirst.«
    Er stieß ihr den Lauf der Waffe in die Seite. Sie krümmte sich und stöhnte.
    Grob packte er sie am Arm. »Du könntest dich ruhig etwas mehr freuen, Louis. Ein bisschen Dankbarkeit zeigen für das, was ich für dich tue.«
    Wieder fuhr er langsam die Konturen ihres Körpers ab. Diesmal nicht mit der Waffe, sondern mit seinen Fingerspitzen. Sie musste würgen. Seine Berührung widerte sie an, doch sie stand wie versteinert da und ließ es geschehen. In ihrem Kopf rauschte es, die Tränen brannten in der Wunde unter ihrem Auge.
    Nein!, schrie es plötzlich aus den Tiefen ihres Bewusstseins. Tu etwas! Wehr dich! Du hast dir etwas geschworen. Also reiß dich, verdammt noch mal, zusammen!
    Sie schloss die Augen und sammelte ihre Kräfte. Jetzt!, sagte die innere Stimme. Unvermittelt machte sie einen Schritt rückwärts, duckte sich und rammte den Kopf in seinen Bauch. Er stieß einen Schmerzenslaut aus und wankte. Sie zögerte nicht, drehte sich um und hastete in die Richtung, in der sie das Stechpalmengestrüpp vermutete. Zweige peitschen auf ihre nackte Haut, ihre Fußsohlen brannten, doch sie bemerkte es kaum. Sie musste das Gebüsch finden, in das Mörike ihre Dienstwaffe gekickt hatte. Das war ihr einziger Ausweg. Hinter sich hörte sie ein Fluchen, dann brechende Zweige. Er hatte sich wieder gefangen und war ihr auf den Fersen. Sie hatte höchstens eine halbe Minute Vorsprung. Und er hatte eine Taschenlampe.

52

    Chris legte das Handy auf seinen Schoß. »Okay. Ich habe alle zum Parkplatz an den Bahngleisen bestellt. Das SEK ist
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