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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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Depressivum umwandeln, doch ruft es eine Vergiftung nur dann hervor, wenn es in großen Mengen verabreicht wird. Das Ritalin befindet sich im Blut der Personen, die es einnehmen, das Hormon aber wird äußerlich angewandt, als Salbe, doch enthält es eine Beimischung von Hyaluronidase, die das Durchdringen des Heilmittels durch die Haut in die Blutgefäße erleichtert. Damit es aber zu einer Vergiftung mit psychotischem Effekt kommt, müßte man täglich 200 Gramm in die Haut einreiben und gleichzeitig mehr als die Maximaldosis Ritalin verabreichen.
    Katalysatoren, die die Wirkung des Depressivums millionenfach verstärken, sind die Verbindungen von Zyaniden mit Schwefel, die Rhodaniden. Drei Buchstaben, die
    chemischen Symbole CNS, bilden den Schlüssel des Rätsels. Spuren von Zyanid finden sich in bitteren Mandeln. Sie verleihen ihnen die charakteristische, brennende Bitterkeit.
    In einigen neapolitanischen Mandelbrennereien herrschte eine Schabenplage. Als Desinfektionsmittel verwandte man ein schwefelhaltiges Präparat. Spuren des Schwefels gelangten in die Emulsion, in der die Mandeln eingeweicht wurden, bevor sie in den Ofen kamen. Das hatte keinerlei Folgen, solange die Temperatur des Backofens niedrig blieb.
    Erst wenn die Temperatur so hoch wurde, daß der Zucker karamelisierte, verbanden sich die Zyanide der Mandeln mit dem Schwefel zu Rhodan. Doch auch das RhOdan, wird es allein in den Körper eingeführt, ist noch kein wirksamer Katalysator des Faktors X. In den reagierenden Körpern mußten sich freie Schwefelionen befinden. Diese Ionen stammten in Gestalt von Sulfaten und Sulfiten aus den Heilbädem. So also kam jemand um, der Hormonsalbe verwandte, Ritalin schluckte, Schwefelbäder nahm und Mandeln kostete, die auf neapolitanische Weise in Zucker gebrannt waren. Die Rhodanide katalysierten die Reaktion bei so geringfügigen Mengen, daß man diese nur durch die Chromatographie entdecken konnte. Voraussetzung unwissentlicher Selbstvernichtung war Naschhaftigkeit. Wer als Diabetiker keine Süßigkeiten essen durfte oder sie nicht mochte, kam heil davon. Die Schweizer Abart der Salbe wurde nur in Europa verkauft, und zwar seit zwei Jahren
    - damm wurden vorher auch keine Fälle notiert. In Amerika gab es sie nicht, weil dort Pfizer ausschließlich auf dem Markt war, und sein Hormon zerfiel außerhalb des Kühlschranks nicht so schnell wie das europäische. Frauen benutzten die für Männer bestimmte Salbe nicht, folglich konnte es unter ihnen keine Opfer geben.
    Der unselige Proque war auf andere Weise in die Falle gegangen. Er litt nicht an Haarausfall, er benötigte kein Hor-mon, er ging nicht an den Strand, er nahm keine Schwefelbäder, doch Schwefelionen drangen ihm ins Blut, weil er in seiner Dunkelkammer die Dämpfe sulfithaltiger Entwickler einatmete, Ritalin nahm er gegen die Müdigkeit, und die Verbindung X reichte ihm Dr. Dunant, als er seine Brille zerschlagen hatte. Der gelehrte und geduldige Doktor, der jedes Fetzchen und jede Prise Staub in Proques Werkstatt zerrieb, der Proben aus dem Sperrholz der Trennwand und aus dem Schleifpulver entnahm, wußte nicht, daß die geheimnisvolle Substanz, die er suchte, sich vier Meter über seinem Kopf befand, daß sie als Tüte mit gezuckerten Mandeln in der Schublade einer alten Kommode lag.
    Nicht wesentlich, aber recht amüsant ist eine anekdotische Einzelheit. Als ich bereits in den Staaten war, sagte mir ein Chemiker, die Schwefelblume, die der kleine Pierre mir ins Bett geschüttet hatte, könne bei der Vergiftung keine Rolle gespielt haben, weil sie als Schwefel in festem Zustand, durch Sublimierung in Staub verwandelt, nicht löslich ist. Dieser Chemiker stellte ad hoc folgende Hypothese auf: Die Spuren von Schwefelionen in meinem Blut stammten aus geschwefeltem Wein. Wie in Frankreich üblich, trank ich ihn zu jeder Mahlzeit, aber in Barths Haus, weil ich nirgendwo anders aß. Die Chemiker von CNRS, die das wußten, hatten diese Eventualität verschwiegen, um ihren Chef nicht durch die Vermutung konfus zu machen, er könne seinen Gästen einen schlechten Wein gereicht haben.
    Man hat mich später gefragt, ob die Mandeln mein Heureka-Erlebnis gewesen seien. Es wäre sehr leicht, zuzustimmen oder zu verneinen, aber ich weiß es einfach nicht. Schon vorher, als ich vernichtete, was in meine Hände fiel, als ich alles in die Wanne warf, was mir tödlich und bedrohlich erschien, handelte ich wahnsinnig, aber in diesem Wahnsinn war ein Fünkchen
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