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Der Schnupfen

Der Schnupfen

Titel: Der Schnupfen
Autoren: Stanislaw Lem
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Selbsterhaltungstrieb, al-
    so konnte es mit den Mandeln ähnlich sein. Ich wollte sie
    - das weiß ich - meinen Notizen beifügen, und diese Geste war womöglich nichts anderes als die Folge langjähriger Routine. Ich war daran gewöhnt, Vorgänge auch unter maximalem Streß zu protokollieren, denn man hatte von mir Berichte verlangt, ganz unabhängig von meiner Meinung, ob eine Tatsache wesentlich sei oder nicht. Das konnte der intuitive Einfall sein, der das Gewitter am Vormittag, den Anfall von Niesen, die im Hals steckengebliebene Tablette, die Mandeln, die ich danach aß, und das Bild Proques miteinander in Verbindung brachte, als er zum letzten Mal die Konditorei an der Ecke der Rue Amélie betrat. So eine Heldentat erscheint mir zu schön, um wahr zu sein. Ich habe die Mandeln mit der neapolitanischen Angelegenheit wohl deshalb in Verbindung gebracht, weil im Schaufenster des Konditors ein Abbild des Vesuvs aufgeschüttet war.
    Da der Vesuv damit nichts zu tun hatte, wurde er zum magischen Verbindungsglied und brachte mich dem Kern näher. Allerdings, wer meinen Bericht genau liest, wird bemerken, wie oft es während der Untersuchung zu derartigen Annäherungen kam, ohne daß sich etwas daraus ergab.
    Auch Barth war dem Kern nahe gekommen, obgleich er sich geirrt hatte, als er einen politischen Hintergrund der Fälle annahm, aber er hatte richtig die Auswahl der >Elfer-gruppe, in Frage gestellt und zutreffend erkannt, warum nur Ausländer die Opfer waren, und dazu noch einsame» von der italienischen Umgebung doppelt isolierte, durch Unkenntnis der Sprache und durch Mangel an Angehörigen. Vorboten der Vergiftung waren Wesensänderungen, die nur ein Vertrauter aus nächster Nähe zeitig genug wahrnehmen konnte. Später gelang es, zu einigen >aborti-ven Fällen, durchzudringen, wo Italiener vergiftet wurden oder Ausländer, die sich mit ihren Frauen in Neapel aufhielten. Der Verlauf stimmte in der Regel überein. Durch die seltsamen Handlungen ihres Mannes beunruhigt, beobachtete die Frau ihn immer genauer, und als die Wahngebilde auftraten, veranlaßte sie ihn mit aller Kraft zur Abreise. Die Flucht nach Hause schien die natürliche Reaktion auf die unverständliche Bedrohung zu sein. Die Italiener dagegen gelangten schon in der Einleitungsphase der Vergiftung in psychiatrische Behandlung - meistens unter dem Druck der Familie -, also kam es auch da zu einem vollständigen Wechsel der Lebensweise, der Mann fuhr nicht mehr Auto, nahm kein Plimasin mehr, er unterbrach die Badekur, und so verschwanden die Symptome bald. Die Untersuchung war durch einen banalen Umstand nicht zu diesen >abortiven Fällen< vorgedrungen. Immer hatte sich jemand aus der Umgebung des Vergifteten gefunden, der den Restbetrag des Abonnements abholte, und die Bücher hatten nur die finanziellen Saldi festgehalten, nicht aber die Tatsache des Abbruchs einer Kur an sich, so war von diesen möglichen Opfem keine Spur geblieben.
    Außerdem gab es noch mehr Faktoren, die der Untersuchung Hindernisse in den Weg legten. Niemand brüstet sich damit, daß er eine Salbe gegen Haarausfall benützt.
    Wer sich überhaupt nicht um seine Glatze kümmerte oder lieber eine Perücke verwandte als ein Medikament, entging der Bedrohung, aber wie sollte man das feststellen? Wer kein Hormon benutzte, hatte, weil er gesund und heil war, nichts auszusagen, und wer es benutzte, kam um. Packungen mit der Schweizer Salbe fanden sich nicht in den Klei-dungsstüeken der Opfer, weil man sie im Kühlschrank aufbewahren mußte. Das ist daheim einfach, nicht aber im Hotel, folglich führten die gewissenhaften alten Herren das Präparat nicht bei sich, sondern suchten die örtlichen Friseure auf. Die Salbe mußte alle zehn Tage eingerieben werden, also unterzog sich jedes Opfer dieser Prozedur in Neapel nur einmal, und niemandem war es bei der Untersu-chung eingefallen, in den Friseurläden nachzufragen, was man dort bestimmten Kunden in die Kopfhaut einreibt.
    Schließlich zeichneten sich die Opfer durch eine physische Ähnlichkeit aus, wie ihnen auch bestimmte psychische Züge gemein waren. Es handelte sich um Männer an der Schwelle des Verblühens, noch mit Ansprüchen, die gegen das nahende Alter ankämpften, aber das zugleich verbargen. Wer die Schattenlinie bereits überschritten hatte und
    - kahl wie ein Knie, jenseits der Sechzig - die Versuche aufgab, ein jugendliches Aussehen wiederzugewinnen, der suchte keine wundertätigen Heilmittel. Und wer bereits
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